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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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nach vorn über die Arme herunter und
fühlt sich nackter als jemals zuvor. Sie hebt das Becken an, damit sie ihren
Rock ausziehen kann. Sie hört, wie Thomas der Atem stockt.
    »Linda«, sagt er.
    Vorsichtig, wie man vielleicht eine Skulptur in einer Galerie
berührt, streicht Thomas mit den Fingerspitzen von ihrem Hals bis zu ihren
Schenkeln. Auch sie hält den Atem an.
    »Das ist besser«, sagt sie.
    Sie steigen auf den Rücksitz, damit ihnen das Steuer nicht mehr
im Weg ist. Draußen ist immer noch Winter, aber drinnen ist alles von Dampf und
heißer Atemluft erfüllt. Es ist eine Art Kokon, der die Welt ausschließt.
    Linda dachte, es gäbe nur die Sehnsucht nach Lust. Das schien zu
genügen: die Küsse und Berührungen und die mysteriöse Nässe, die sie mit nach
Hause nahm. Aber an diesem Nachmittag im Auto begreift sie schließlich, was es
mit der Sehnsucht auf sich hat: wie der Körper sich anspannt, explodiert und
überströmt.
    Um Platz zu haben, liegen sie mit verschlungenen und angezogenen
Beinen auf dem Rücksitz. Sie hat es warm, weil er auf ihr liegt, aber er spürt
jetzt die Kälte und greift auf den Vordersitz, um sich seinen Mantel über den
Rücken zu legen.
    Er streicht ihr das Haar aus dem Gesicht. »Geht’s dir gut?« fragt
er.
    »Alles ist neu«, sagt sie. »Alles.«
    »Wir werden immer zusammenbleiben«, sagt Thomas.
    »Ja.«
    »Nichts kann uns trennen.«
    »Nein.«
    »Hat es dir gefallen, mit mir zu schlafen?«
    »Ja, sehr.«
    »Du hast keine Angst gehabt?«
    »Ein bißchen.«
    Thomas nimmt die Flasche mit dem Scotch vom Vordersitz und
stemmt sich ein bißchen hoch, damit er trinken kann. »Möchtest du jetzt einen
Schluck?« fragt er.
    Falls sie zögert, dann höchstens eine oder zwei Sekunden lang. »Was
ist das?«
    »Scotch.«
    Die Flüssigkeit brennt, als sie ihre Kehle hinabrinnt, und fast
augenblicklich spürt sie die Hitze in ihrem Magen. Sie nimmt noch einen Schluck
und reicht die Flasche an Thomas zurück. Nach einer Weile legt sie den Kopf
wieder auf die Bank. Der Alkohol trifft sie wie ein Schlag, sie hat das Gefühl,
aus dem Skylark zu wirbeln, zu schweben.
    »Hat es dich gestört?« fragt sie.
    »Was?«
    »Daß ich keine … du weißt schon.« Sie kann das Wort nicht
aussprechen.
    »Daß du keine Jungfrau bist?«
    »Ja«, sagt sie erleichtert.
    »Nein«, antwortet er.
    »Es passiert etwas mit dir, aber es muß nicht dein ganzes Leben
verändern«, sagt er.
    »Dies hier hat mein ganzes Leben verändert«, antwortet sie.
    Mühsam ziehen sie sich auf dem Rücksitz wieder an. Als sie
fertig sind, steigen sie beide aus, um sich wieder nach vorn zu setzen – sie
kommen sich vor wie in einer Komödie. »Wir werden Kinder haben«, sagt er und
verblüfft sie.
    »Glaubst du?«
    »Ich hab Jack wirklich gern«, sagt er.
    »Na schön«, antwortet sie.
    »Wie viele denkst du?« fragt Thomas.
    »Ich weiß nicht. Drei oder vier?«
    »Ich dachte an sieben oder acht.«
    »Thomas.«
    Er beugt sich übers Lenkrad. »Kratzt du mir mit den Fingernägeln
über den Rücken?« fragt er.
    »So?«
    »Über den ganzen Rücken.«
    »So?«
    »Ja«, sagt er seufzend. »Das ist herrlich.«
    »Ich bin so glücklich«, sagt sie. »Wahnsinnig glücklich.«
    »Daß wir uns gefunden haben, meinst du?«
    »Ja.«
    »Es ist ein verdammtes Wunder«, sagt er.
    »Ich muß dich etwas fragen«, sagt er, als sie wieder die Küstenstraße
entlangfahren. Und vielleicht fährt er ein bißchen schneller als zuvor – ein
bißchen zu schnell vielleicht.
    »Ja«, sagt sie.
    »Warum hast du es zugelassen?«
    Sie schließt die Augen und überlegt kurz. Sie weiß, daß sie die
Fragen beantworten muß. »Ich weiß nicht«, beginnt sie. »Ich war immer die
Außenseiterin …« Sie hält inne. »Das ist keine Entschuldigung, verstehst du. Es
ist nur eine Erklärung.«
    »Ich verstehe.«
    »Für meine Tante und meine Cousins und Cousinen, selbst für
diejenigen, die mich gut behandelt haben, war ich immer eine Außenseiterin. Man
könnte sagen, sie waren freundlich zu mir, wie man zu einem Dienstboten
freundlich ist. Aber er war anders. Es ist erbärmlich, das zuzugeben, aber er
hat mir das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Er hatte immer
Süßigkeiten für mich.«
    Sie hält inne. Es war absolut erbärmlich.
»Ich glaube, am Anfang habe ich ihm leid getan und er wollte mich auf seine Art
entschädigen. Er hat mich ins Kino geführt oder mich mitgenommen, wenn er in
der Stadt etwas zu erledigen hatte.«
    »Hat er es auch mit
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