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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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fahren eine gewundene schmale Küstenstraße entlang. Linda
sitzt so nahe bei Thomas, daß er gelegentlich den Arm zurückziehen muß, um zu
steuern. Wann immer er kann, legt er die Hand auf ihren Schenkel. Einmal
schiebt er ihren Rock hoch, um ihren Schenkel zu sehen. Dann schiebt er die
Hand unter ihren Rock. Sie stößt ihn nicht weg.
    Thomas hält an einer Tankstelle, damit sie im Imbiß anrufen kann.
Sie hält sich die Nase zu und gibt vor, erkältet zu sein, während Thomas vor
der Telefonzelle steht, gegen das Glas trommelt und singt. Help
me, Rhonda. Help, help me, Rhonda. Im Wagen küßt Linda ihn so innig und
so lange, daß er nach Luft schnappt, als sie ihn wieder losläßt .
    Während sie fahren, läßt die untergehende Sonne die Bäume und die
alten Häuser entlang der Straße erglühen, so daß es für eine Weile aussieht,
als stünde die Welt in Flammen.
    »Heute ist der schönste Tag in meinem Leben«, sagt sie.
    »Wirklich?«
    Das Wasser in den Sümpfen leuchtet in strahlendem Rosa. Thomas
greift unter seinen Sitz und zieht eine Flasche heraus, die offensichtlich
Scotch oder Whiskey enthält. Ein Schatten streicht über die Straße.
    »Was soll das?« fragt sie.
    »Möchtest du einen Schluck? Wir feiern.«
    Die Flasche ist nur halb voll. Vielleicht gibt es Seiten an Thomas,
die sie nicht kennt.
    »Du hast nie Alkohol getrunken«, sagt er.
    »Thomas, können wir irgendwo anhalten? Ich möchte dir etwas sagen.«
    »Er hat Sex mit mir gehabt«, sagt sie und stößt dabei den Atem
aus.
    Sie erwartet, daß das Metall des Wagens nach innen knickt, daß die
Luft es wieder nach außen biegt. Thomas hat auf einem Feldweg in den sumpfigen
Wiesen geparkt. Sie stehen zum Teil hinter einer Baumgruppe verborgen, auf der
das schmelzende Eis in der untergehenden Sonne glitzert.
    »Er hat dich vergewaltigt«, sagt Thomas.
    »Es war keine Vergewaltigung«, antwortet sie. »Es war auch kein
Inzest, falls du das denkst. Er war nicht mein wirklicher Onkel. Wir haben ihn
bloß so genannt. Er war der – ich weiß nicht – der Freund meiner Tante, schätze
ich.«
    Dies ist der Moment, denkt Linda, in dem Thomas die Tür öffnen und
aussteigen muß, um einen kühlen Windstoß einzulassen. Er wird einen Spaziergang
machen, um sich zu sammeln, und wenn er wieder einsteigt, dessen ist sie sich
sicher, wird alles anders sein zwischen ihnen.
    »Oft?« fragt Thomas.
    »Fünfmal«, antwortet sie.
    Er lehnt den Kopf an die Nackenstütze. Linda ist schwindelig. Sie
muß etwas essen.
    »Ich wußte, daß es etwas in dieser Art war«, sagt Thomas ruhig.
    »Wirklich?« Sie ist nur wenig erstaunt. Aber vielleicht ein bißchen
enttäuscht. Schließlich hatte jemand ihr schreckliches Geheimnis bereits
erraten.
    »Ich war mir nicht sicher«, sagt Thomas. »Eine Weile habe ich
gedacht, es könnte dein Vater gewesen sein.«
    »Mein Vater ist verschwunden, als ich fünf war«, antwortet sie. »Das
habe ich dir doch gesagt.«
    »Ich dachte, du hättest vielleicht gelogen, was den Zeitpunkt
betrifft«, sagt Thomas. Eine Lüge, die er offensichtlich nicht verurteilt
hätte, weil ihr nichts anderes übrig geblieben wäre.
    »War es schlimm?« fragt er.
    »Es war schrecklich und auch wieder nicht«, sagt sie vorsichtig.
Kurz darauf fügt sie hinzu: »Ich finde, wir sollten über diese Sache nicht mehr
reden.«
    Er nickt. Was sollten Einzelheiten schon bringen, Bilder, die nie
mehr ausgelöscht werden könnten?
    »Ich liebe dich«, sagt Thomas.
    Sie schüttelt den Kopf. Das hätte er jetzt nicht sagen sollen.
Vielleicht wird sie immer denken, er habe es nur aus Mitleid gesagt.
    »Ich liebe dich seit dem Moment, als du ins Klassenzimmer gekommen
bist«, sagt er.
    Aber Worte sind bedeutsam, wie sie weiß, und ihr Herz macht einen
Freudensprung.
    »Manchmal glaube ich«, sagt er, »daß wir füreinander bestimmt sind.«
    »Ich auch«, antwortet sie schnell. Und das stimmt. Sie ist genau
derselben Meinung.
    Zutiefst glücklich, dreht er sich zu ihr um.
    »Bist du sicher?« fragt er.
    »Ich bin mir sicher«, antwortet sie.
    Er lehnt sich zurück und betrachtet sie. »Aber er hat dich nicht
gezwungen, alle deine Kleider auszuziehen, oder?«
    Sie schüttelt den Kopf und stellt fest, daß Thomas ebenfalls
Phantasien hat – und seine sind schlimmer, weil sie das Schlimmste zeigen, was
er sich vorstellen kann. Was man sich vorstellt ist immer schlimmer als das,
was ist.
    Sie kreuzt die Arme und zieht ihren Pullover aus. Sie öffnet ihren BH , schiebt ihn
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