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Der Wandler

Der Wandler

Titel: Der Wandler
Autoren: Dominik Spreigl
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einem Moment auf den nächsten war in unserer Zivilisation das Chaos ausgebrochen. Jeder kämpfte gegen Jeden ums nackte Überleben.
    In unserem schwächsten Moment wurden wir nicht von Gott erhört, sondern von Ihnen.
    Ihre Stunde war jetzt gekommen. Sie nutzten unsere Schwäche und katapultierten sich an die Macht. Unsere Körper wurden die ihren.
    Unsere neuen Herrscher und Unterdrücker wurden fortan von uns »die Wächter« genannt.

    So oder so ähnlich wie hier in New York hatte es sich wahrscheinlich weltweit abgespielt.

    Fakt ist, die Welt wie wir sie kannten, endete an diesem Tag für immer.

    Willkommen in meiner Welt!

Außeneinsatz
    Neo New York / das Camp: Der von den Wächtern wieder aufgebaute und von den Überlebenden bewohnte Teil des alten New York.

Eisenhäute: Von Menschen oder Wächtern gesteuerte, riesige Roboter-ähnliche Maschinen, die wie ein Fahrzeug durch eine Luke bestiegen werden können.

Im Moment befand sich mein Zwei-Mann Arbeitstrupp in den von Gras und Moos zugewachsenen Straßenschluchten des post-apokalyptischen New York. Inmitten der riesigen, vor sich hin rostenden Stahlbetonruinen, die bedrohlich auf beiden Seiten aufragten und das Licht nur in einzelnen Straßenabschnitten durchließen, mussten wir heute unsere Arbeit verrichten.
    Dunkelheit und Sonnenlicht hatten anscheinend einen Pakt geschlossen und die Stadt 50:50 unter sich aufgeteilt. Irgendwie erinnerte einen das Ganze an ein überdimensionales Schachbrett.
    Die Vegetation hatte sich mit diesen Zuständen schon längst angefreundet. Der Schatten gehörte dem Moos und die Sonnenflecken waren in fester Hand von grellbunten Blumen und Bäumen, die teilweise fast tropisch anmutende Früchte trugen.
    Auf dem Tagesplan stand heute Stahlplatten für die Außenverkleidung des Sammelpostens zu besorgen.
    Ich hatte absolut keinen Bock auf Arbeit, aber wer arbeitete, musste nicht in die Schule. Und auf Lernen hatte ich ja mal gar keine Lust.

    »Hey Tom, ich freu mich schon jetzt auf den Feierabend. Wenn wir mit diesem Mist fertig sind, besuche ich später meine Familie in der Wirklichkeit.«
    Wir verstanden unter Wirklichkeit, die vom Kollektiv mit viel Liebe zum Detail erzeugte Traumwelt. Trotzdem blieb es eine Traumwelt, mit der ich im Gegensatz zu vielen Anderen nicht viel anfangen konnte.
    Die Familie, von der Sammy sprach, war sein vor Jahren verstorbener Vater und seine Mutter. Umgekommen bei einem irrwitzigen Fluchtversuch aus Neo New York, der fast geglückt wäre. Aber nur fast.
    »Träum weiter, du bemitleidenswerter Trottel.«, dachte ich, während ich ihn freundschaftlich angrinste.
    Er wusste bis heute nicht, was mit ihnen geschehen war. Oder vielleicht hatten die andauernden Wechsel zwischen Traumwelt und Wirklichkeit und wieder zurück sein Denkvermögen noch mehr eingeschränkt. Schließlich war er, seitdem ich ihn kannte, noch nie eine echte Leuchte gewesen.
    Aber vermutlich wusste Niemand außer mir und meinem Kumpel Ego etwas von den tragischen Ereignissen, die sich hier, in einer der letzten Bastionen der Menschheit, zugetragen hatten. Schließlich lebten Eltern und Kinder getrennt voneinander und trafen sich, wenn überhaupt, nur in der Traumwelt.
    Denn jeder der älter als 15 war, musste die Anderen verlassen und machte »die Veränderung« durch, die ihn zum Besucher in seinem eigenen Körper degradierte.
    Der Wächter, der sich in seinem Gehirn festgesetzt hatte, spielte ihm die Familie, die es schon lange nicht mehr gab, wahrscheinlich vor. Für ihn war diese gelebte Lüge bestimmt besser als die grausige Wahrheit.
    »Ausnahmsweise muss ich dir Recht geben.«, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf.
    »Nicht zu wissen ist für manche ein Segen.«
    Ich wagte es nicht, ihn nach meinen Eltern zu fragen und Ego ging auf diesen Gedanken nicht im Geringsten ein. Vermutlich war es genau wie bei Sammy besser für mich, es nicht zu wissen.

    Sammy grinste zurück und als unser riesiger Tieflader zum Stehen kam, sprangen wir ab und landeten auf der staubigen und verlassenen 5 th Avenue. Früher waren hier die protzigen Luxusboutiquen gewesen, die Reichen und die Schönen hatten hier flaniert. Von all dem Prunk war heute nichts mehr zu sehen. Die 5 th Avenue war nur eine weitere zerstörte Straße, umgeben von ausgebrannten und einsturzgefährdeten Ruinen. Zum größten Teil war sie von Gras bewachsen, welches sich unaufhaltsam den Weg durch Schlitze im Beton gebahnt hatte.
    Wir warteten einen Augenblick, bis der
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