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Der Wanderer

Der Wanderer

Titel: Der Wanderer
Autoren: Khalil Gibran
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den jungen Männern. Es schalt sie, und es schlug sogar einem oder zweien von ihnen ins Gesicht. Dann lief es fort und ließ sie stehen.
    Und auf dem Heimweg sagte es an dem Abend in seinem Herzen: »Es ist ekelhaft. Wie ungesittet und schlecht erzogen sind diese Männer! Es ist wirklich unerträglich!«
    Es verging ein Jahr, während dessen dieses sehr reizende Mädchen viel über Jahrmärkte und Männer nachdachte. Dann kam es wieder zum Jahrmarkt mit der Lilie und der Rose in seinem Angesicht, dem Sonnenuntergang in seinen Haaren und dem Lächeln des Morgenrots auf seinen Lippen.
    Doch nun, als sie das Mädchen sahen, wandten sich diejungen Männer von ihm ab. Und den ganzen Tag lang blieb es allein und unbegehrt.
    Und als es zur Abendzeit die Landstraße entlang heimwärts ging, rief es in seinem Herzen: »Es ist ekelhaft. Wie ungesittet und schlecht erzogen sind diese Jünglinge! Es ist wirklich unerträglich!«

Die zwei Fürstinnen
    In der Stadt Shawakis lebte ein Fürst, der wurde von allen geliebt, Männern und Frauen und Kindern. Selbst die Tiere des Feldes kamen zu ihm, ihn zu grüßen.
    Doch alle Menschen sagten, dass seine Gemahlin, die Fürstin, ihn nicht liebe, ja dass sie ihn sogar hasse.
    Eines Tages kam die Fürstin einer benachbarten Stadt und stattete der Fürstin von Shawakis einen Besuch ab. Und sie saßen und plauderten miteinander, und die Rede kam auf ihre Gemahle.
    Da sagte die Fürstin von Shawakis leidenschaftlich: »Ich beneide Euch um Euer Glück mit dem Fürsten, mit dem Ihr doch schon so viele Jahre vermählt seid. Ich hasse meinen Gemahl. Er gehört nicht mir allein, und ich bin wahrhaft eine höchst unglückliche Frau.«
    Da blickte die Fürstin, ihr Gast, sie an und sagte: »Meine Freundin, die Wahrheit ist, dass Ihr Euren Gemahl liebt. Ja, und Ihr hegt noch immer eine unerloschene Leidenschaft für ihn, und dies ist es, was eine Frau mit Leben erfüllt, gleichwie der Frühling einen Garten. Doch bemitleidet mich und meinen Gemahl, denn wir ertragen einander bloß in stummer Geduld. Und dennoch haltet Ihr und andre dies für Glück.«

Der Blitzstrahl
    An einem stürmischen Tage war ein christlicher Bischof in seiner Kathedrale, und eine nicht christliche Frau kam und blieb vor ihm stehen und sagte: »Ich bin keine Christin. Gibt es für mich Rettung vor dem Höllenfeuer?«
    Der Bischof sah die Frau an, und er antwortete und sagte: »Nein, Rettung gibt es nur für jene, die mit Wasser und mit Geist getauft sind.«
    Doch noch während er sprach, ging ein Strahl des Himmels donnernd auf die Kathedrale nieder, und sie füllte sich mit Feuer.
    Und die Männer der Stadt kamen herbeigelaufen, und sie retteten die Frau, aber der Bischof verbrannte zu Asche, Futter für das Feuer.

Der Eremit und die Tiere
    Einst lebte inmitten von grünen Hügeln ein Eremit. Er war reinen Geistes und unbefleckten Herzens. Und alle Tiere des Landes und alle Vögel der Luft kamen in Paaren zu ihm, und er sprach zu ihnen. Sie lauschten ihm gern, und sie versammelten sich dicht vor ihm und verließen ihn erst bei Einbruch der Dunkelheit, wenn er sie fortschickte und sie mit seinem Segen dem Wind und dem Wald anvertraute.
    Eines Abends, als der Eremit von der Liebe sprach, hob ein Leopard den Kopf und sagte zu ihm: »Du sprichst zu uns vom Lieben. Sag uns, Herr, wo ist deine Gefährtin?«
    Und der Einsiedler sagte: »Ich habe keine Gefährtin.«
    Da stieß die Versammlung von Tieren des Landes und der Luft einen lauten Ausruf der Verwunderung aus, und sie begannen untereinander zu sagen: »Wie kann er uns von Liebe und Paarung erzählen, wenn er doch selbst nichts davon weiß?« Und stumm und verächtlich ließen sie ihn stehen.
    In dieser Nacht lag der Einsiedler, das Gesicht zur Erde gewandt, auf seiner Matte und weinte bitterlich und grub seine Fäuste in den Boden.

Der Prophet und das Kind
    Eines Tages begegnete der Prophet Sharia in einem Garten einem Kind. Das Kind kam zu ihm gelaufen und sagte: »Guten Morgen, mein Herr«, und der Prophet sagte: »Guten Morgen, mein Herr.« Und kurz darauf: »Wie ich sehe, bist du allein.«
    Da sagte das Kind, lachend und vergnügt: »Es hat lang gedauert, bis es mir gelungen ist, meine Kinderfrau abzuschütteln. Sie glaubt, ich bin hinter dieser Hecke da; aber siehst du nicht, dass ich hier bin?« Dann blickte es empor, dem Propheten ins Gesicht, und sprach erneut. »Du bist auch allein. Was hast du mit deiner Kinderfrau gemacht?«
    Der Prophet antwortete und sagte:
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