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Der Wanderer

Der Wanderer

Titel: Der Wanderer
Autoren: Khalil Gibran
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Beutel Seife und einem Zuckerhut.
    Und der Diener sagte: »Der Fürst sendet dir diese Geschenke zur Erinnerung.«
    Dem Manne schwoll vor Stolz die Brust, denn er glaubte, die Gaben seien eine Huldigung des Fürsten. Und in seinem Hochgefühl ging er zum Bischof und erzählte ihm, was der Fürst getan hatte, und sagte: »Seht Ihr nicht, dass der Fürst um mein Wohlwollen buhlt?«
    Doch der Bischof sagte: »Oh, welch ein weiser Fürst, und wie wenig du begreifst! Er spricht in Bildern. Das Mehl ist für deinen leeren Magen; die Seife ist für dein schmutziges Fell; und der Zucker soll deine bittere Zunge versüßen.«
    Von jenem Tage an misstraute der Mann sogar sich selbst. Sein Hass gegen den Fürsten war größer denn je, und noch mehr hasste er den Bischof, der ihm den Fürsten offenbart hatte.
    Doch von nun an hielt er den Mund.
     
    1
    Gibrans Geburtsort, im Norden des Libanons

Frieden und Krieg
    Drei Hunde lagen in der Sonne und plauderten miteinander.
    Der erste Hund sagte verträumt: »Es ist wahrhaft herrlich, zu dieser Zeit der Hundheitsgeschichte zu leben. Bedenkt doch nur, wie mühelos wir unter dem Meeresspiegel reisen, auf der Erde und sogar durch den Himmel. Und macht euch einen Augenblick lang die Erfindungen bewusst, die zur Mehrung unserer Behaglichkeit gemacht wurden – selbst zum Wohl unserer Augen und Ohren und Nasen.«
    Und der zweite Hund sprach und sagte: »Wir sind kunstsinniger geworden. Wir bellen den Mond rhythmischer an, als es unsere Vorväter taten. Und wenn wir uns im Wasser betrachten, sehen wir, dass unsere Gesichtszüge klarer sind als die Gesichtszüge von einst.«
    Darauf sprach der dritte Hund und sagte: »Aber was mich am meisten fasziniert und meinen Geist beschäftigt, ist das friedliche Einvernehmen, das zwischen den verschiedenen Hundheiten herrscht.«
    Genau in diesem Moment schauten sie um sich, und siehe, der Hundefänger nahte.
    Die drei Hunde sprangen auf und rannten hastig davon; und während sie rannten, rief der dritte Hund: »Um Gottes willen, lauft um euer Leben! Die Zivilisation will uns an den Kragen!«

Die Tänzerin
    Einst kam zum Hof des Fürsten von Birkasha eine Tänzerin mit ihrer Musikantentruppe. Und sie erhielt Einlass und tanzte vor dem Fürsten zur Begleitung der Laute und der Flöte und der Zither.
    Sie tanzte den Flammentanz und den Schwert- und Speertanz, sie tanzte den Sternentanz und den Tanz des Weltenraums. Und dann tanzte sie den Tanz der Blumen im Winde.
    Danach trat sie vor den Thron des Fürsten und verneigte sich. Und der Fürst forderte sie auf, näher zu treten, und sagte zu ihr: »Schöne Frau, Tochter der Anmut und des Entzückens, woher rührt deine Kunst? Und wie kommt’s, dass du in deinen Rhythmen und deinen Weisen alle Elemente beherrschst?«
    Da verneigte sich die Tänzerin wieder vor dem Fürsten und antwortete: »Mächtige und huldvolle Majestät, ich weiß keine Antwort auf Eure Fragen. Nur dieses weiß ich: Die Seele des Philosophen haust in seinem Kopf, des Dichters Seele ist in seinem Herzen; des Sängers Seele schwebt um seine Kehle, doch die Seele der Tänzerin wohnt in ihrem ganzen Körper.«

Die zwei Schutzengel
    Eines Abends trafen sich zwei Engel am Stadttor, grüßten einander und unterhielten sich.
    Der eine Engel sagte: »Was tust du zurzeit, und welche Arbeit hat man dir zugewiesen?«
    Und der andere antwortete: »Es ist mir aufgetragen worden, über einen Gestrauchelten zu wachen, der unten im Tale wohnt, einen großen Sünder, zutiefst verworfen. Sei versichert, es ist eine wichtige Aufgabe, und ich arbeite hart.«
    Der erste Engel sagte: »Das ist ein leichter Auftrag. Ich habe schon viele Sünder gekannt und bin häufig deren Schutzwächter gewesen. Jetzt ist mir aber die Aufgabe zugeteilt worden, Wächter des guten Heiligen zu sein, der dort drüben in einer Laube wohnt. Und ich versichere dir, das ist eine außerordentlich schwierige Arbeit und äußerst heikel.«
    Sprach der erste Engel: »Das ist bloße Überhebung. Wie könnte es anstrengender sein, einen Heiligen zu behüten als einen Sünder?«
    Und der andere erwiderte: »Welch eine Frechheit, mich überheblich zu nennen! Ich habe lediglich die Wahrheit gesagt. Mir scheint,
du
bist der Überhebliche!«
    Da gerieten die Engel in Streit und gingen wütend aufeinander los, erst mit Worten und dann mit Fäusten und Flügeln.
    Während sie stritten, kam ein Erzengel vorbei. Und er trennte sie und sagte: »Warum streitet ihr? Und worum geht es? Wisst ihr
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