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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
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Wand.«
    »Wozu denn das?«, fragte der Mann eingeschüchtert.
    »Wozu denn das?«, äffte Enano ihn nach. Er hatte, bevor er in die Küchentür trat, einer alten Gewohnheit folgend gelauscht und erfahren, was die Köchin den anderen vorenthielt. »Zum Tragen, Blitzmerker! Der Lord schiebt Kohldampf. »Enano, geht in die Küche zur guten Mrs. Melrose und bittet um etwas Schweinswildbret und andere Leckereien!«, gassert er eben zu mir.«
    Der Mann beeilte sich, dem Wunsch des Zwergs nachzukommen.
    »Ei, ei, Frau Bratwachtel, nun ladet drauf, was schmerft.«
    Mit säuerlicher Miene füllte die Köchin das Tablett.
    »Vergelt's Gott, 's wird dem altrischen Lord munden!«, fistelte Enano und dachte: wenn nicht dem Lord, dann Vitus, dem Magister und mir.
    Unter den verlangenden Blicken aller trug er die Speisen zur Tür. »Der Rest vom Gepick soll unter die Dienerei! Haltet Euch dran, Frau Bratwachtel.«
    »Jawohl, äh ...«
    »Un äh ich's vergess«, der Zwerg drehte sich noch einmal um, »ich brauch noch heißes Wasser un Meerrettichwurzeln. Steckt nur alles mit drauf.«
    »Heißes Wasser und Meerrettichwurzeln?« Catherine Melrose verstand die Welt nicht mehr. Doch sie gehorchte. Lord Collincourt lag in seinem Bett und genoss, wie es seine Gewohnheit war, die Sekunden zwischen Halbschlaf und endgültigem Erwachen. Heute war Sonntag, der 23. Dezember, und wie es schien, meinte der Wettergott es gut. Zum Kirchgang reichten seine Kräfte noch nicht, aber mit Glück würde er ein paar Schritte im Schlossgarten spazieren gehen können. Fast zwei Wochen war es jetzt her, dass der blonde Arzt, der sich Vitus von Campodios nannte, ihn mit seinen Assistenten betreute; eine Behandlung, die ihm sehr angenehm gewesen war, nicht nur wegen ihrer erstaunlichen Wirksamkeit, sondern auch wegen der ruhigen, gewinnenden Art des Cirurgicus. Vitus von Campodios ... ein Geheimnis lag über diesem jungen Mann, und er wollte nicht länger Odo Collincourt heißen, wenn er es nicht noch vor Weihnachten herausbekäme! Sollte seine Vermutung sich als richtig erweisen? Nein, der Gedanke war zu absurd!
    Lord Collincourt drehte sich langsam auf die Seite, was ihm an diesem Tag schon leichter fiel, und begann sich aufzurichten. Die Rippen schmerzten nach wie vor, als bohre ihm jemand ein Messer in die Seite, doch er hatte den Eindruck, das Messer sei nicht mehr ganz so spitz. Als er saß, atmete er durch. Es war ihm zum ersten Mal gelungen, sich allein aufzurichten. Das war ein gutes Zeichen. Seine Zuversicht auf einen Spaziergang im Freien wuchs. Auch der Hunger regte sich. Er beschloss, das Frühstück mit dem Cirurgicus einzunehmen.
    »Hartford.«
    »Mylord?« Der Butler erschien mit fragendem Gesichtsausdruck, der sich jäh wandelte, als er sah, dass sein Herr sich erheben wollte.
    »Großer Gott, wartet Mylord, ich helfe Euch!«
    »Danke, Hartford. Und nun kleide mich an. Danach möchte ich mit dem Cirurgicus im Grünen Salon frühstücken. Nichts Schweres, kein Fleisch, kein Fisch, vielleicht ein wenig Pastete für mich, Weizenbrot, Käse und einen Kräuter trank.«
    Eine halbe Stunde später begab sich der Lord, umdienert von Hartford, in den Grünen Salon, einen kleinen, nach Süden liegenden Raum, der seinen Namen den vielen Pflanzen verdankte, die sommers wie winters dort gehalten wurden. Er nahm ächzend Platz.
    »Danke, Hartford. Die junge Marth soll servieren. Für mich wie befohlen, für den Cirurgicus etwas Kräftiges. Mrs. Melrose soll sehen, ob noch Lamm von gestern Abend übrig ist, dazu vielleicht ein paar Eier. Ihr wird schon etwas einfallen.«

    »Guten Morgen, Mylord!« Vitus strahlte, als er wenig später im Salon erschien. »Fürs erste Aufstehen habt Ihr Euch einen schönen, sonnigen Tag ausgesucht. Allerdings wäre es mir lieber gewesen, Ihr hättet mir vorher Bescheid gesagt.«
    »Woraufhin Ihr mir das Aufstehen prompt verboten hättet, nicht wahr?« Lord Collincourt deutete auf den Platz gegenüber. »Setzt Euch.«
    »Danke. Um die Wahrheit zu sagen: wahrscheinlich ja. Ich bin ohnehin erstaunt, wie schnell die Genesung bei Euch fortschreitet. Im Normalfall brauchen Rippenbrüche mindestens einen Monat, wenn nicht zwei, bis sie auskuriert sind.« Der Lord, dem aufgefallen war, dass Vitus sich bei allem, was er sagte, präzise ausdrückte, fragte nach: »Zwischen einem und zwei Monaten ist aber ein großer Unterschied, Cirurgicus, besonders, wenn man Schmerzen hat.« Er winkte Marth herein, die scheu mit den Speisen in der
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