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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
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während er nach Worten rang.
    »Ich habe es geahnt, aber nicht zu hoffen gewagt. Es ist unser Wappen, das Wappen der Collincourts, und du bist in seinem Besitz.« Jählings fasste er sich ans Herz.
    »Großer Gott! Jean, was ist mit dir geschehen? Jean!«
    »Jean, Mylord?«, drängte Vitus, der angesichts der Reaktion des alten Mannes blass geworden war.
    »Wer ist Jean?«
    »Jean ist ... deine Mutter.«
    »Du musst dich in Geduld fassen«, sagte der Magister am Nachmittag zu Vitus, während sie einen Ausritt zum nahe gelegenen See machten. »Du bist jung, und er ist ein alter Herr. Die Neuigkeiten waren einfach zu viel für ihn. Er muss sie erst einmal verkraften. Heute Abend ist es immer noch früh genug, alles über deine Mutter erfahren.«
    »Sicher«, seufzte Vitus. »Trotzdem war ich völlig überrascht, dass er plötzlich zurück zum Schloss wollte. Er war ziemlich aus dem Häuschen.«
    Der kleine Gelehrte parierte sein Pferd und blickte auf das vor ihnen liegende Gewässer mit der kleinen, von Stock-und Krickenten bevölkerten Insel in der Mitte.
    »Gib ihm Zeit zum Nachdenken, und setz dich heute Abend, so wie er's möchte, mit ihm am Kamin zusammen.«
    »Willst du nicht dabei sein?«
    »Kommt nicht in Frage. Ich bin zwar dein bester Freund, aber Familie bleibt Familie, da misch ich mich nicht ein. Ansonsten weißt du's ja: Wenn du jemanden brauchst - der Zwerg und ich sind immer an deiner Seite.«
    Der kleine Gelehrte blinzelte heftig.

    »Hartford, stell den Wein dort auf dem Spieltisch ab und leg noch etwas Holz aufs Feuer. Dann lass uns allein.«
    »Sehr wohl, Mylord.« Hartford zog ein beleidigtes Gesicht, tat wie ihm geheißen und verschwand.
    »Seine Neugier ist manchmal eine Plage.« Der alte Lord rutschte in seinem Kaminstuhl hin und her, bis er eine Position gefunden hatte, die ihn schmerzfrei sitzen ließ. Dann hob er seinen Pokal und prostete Vitus zu.
    »Cheers, mein Junge! Dies ist ein großer Augenblick für das Haus Collincourt - und für dich.«
    »Cheers, äh ... wie kann ich Euch eigentlich anreden?«
    »Ich bin dein Onkel: Onkel Odo. Genau genommen dein Großonkel. Trinken wir darauf!« Der Lord nahm einen kräftigen Schluck.
    Vitus tat es ihm gleich. »Und wie sind wir miteinander verwandt?«, fragte er dann und bemühte sich, trotz seiner Aufregung gefasst zu klingen. »Könnt Ihr mir das erklären?«
    »Das kann ich, und das werde ich auch.« Der alte Herr lächelte. »Aber erst, nachdem du mir deine Geschichte erzählt hast.
    »Gern, Onkel. Wenn Ihr erlaubt, lege ich vorher noch ein paar Scheithölzer bereit.« Vitus stand auf und holte welche aus dem Gestell. Die Beschäftigung lenkte ihn ab und ließ ihn ruhiger werden.
    »Meine Geschichte ist nämlich ziemlich lang ...«
    Während Vitus erzählte, fiel ihm auf, wie oft er seine Abenteuer schon geschildert hatte, und er hoffte, dieses Mal würde es das letzte Mal sein. Er ließ nichts aus und fügte nichts hinzu, sondern schilderte präzise, was ihm widerfahren war. Er erzählte von Freunden und Feinden, die seinen
    Weg gekreuzt hatten, beschrieb die
    Landschaften, durch die er gekommen war, schwärmte von der Weite des Meers und landete endlich auf der Phoenix, wo er mit Kapitän Baldwin und den Falcons das Dinner eingenommen hatte. Anschließend gestattete er sich die einzige Ungenauigkeit, indem er die Nacht und den Streit mit Arlette verschwieg und lediglich erzählte, wie sehr er sich in sie verliebt habe.
    »Mit Gottes Beistand schafften wir es auf der Argonaut heil nach England, und einen Tag später lernte ich Euch, wenn auch unter unglücklichen Umständen, kennen«, schloss er.
    »Ja, so ist es wohl.« Odo Collincourt wiegte sinnend den Kopf. »Wenn ich dir nennen sollte, welches das Schönste oder das Schrecklichste deiner Erlebnisse war, wüsste ich es bei der Fülle kaum zu sagen, aber das Überraschendste, das fiele mir sofort ein: Es ist dein Zusammentreffen mit Arlette. Sie war die Sonne meiner alten Tage, mein Kleinod auf Greenvale. Dass sie von hier aufbrach, um in die Neue Welt zu gehen, hat mich seinerzeit bis ins Mark getroffen, doch nun bist du statt ihrer da. Gott ist groß, und seine Güte ist unermesslich.«
    »Wie bin ich mit Arlette verwandt, Onkel?« Der alte Herr seufzte. »Als du eben von deiner Liebe zu Arlette sprachst, war mir klar, dass dies deine erste Frage sein würde. Nun gut, ich wollte eigentlich anders anfangen, aber ich war auch einmal jung, und darum kann ich dich verstehen. Lass mich
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