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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
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Tür wartete. »Das ist es in der Tat, Mylord.« Vitus sah, wie das Mädchen schnell und geschickt aufdeckte und sich dann entfernte. Lamm und eine würzige Wildpastete, dazu eine Eierspeise mit Speck, so heiß, dass sie noch dampfte! Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, doch er beherrschte sich.
    »Und woran liegt es, dass so etwas nicht genauer vorausgesagt werden kann?« Der alte Herr biss in ein Stück Käse, dann fiel ihm auf, dass Vitus noch nicht aß.
    »Bitte nehmt Euch selbst. Ich wollte ein zwangloses Frühstück, ohne Bedienung, nur für uns beide.«
    »Danke, Mylord.« Vitus wählte kaltes Lamm und probierte die Pastete dazu. »Die Heilung eines Knochens hängt von so vielen Faktoren ab, dass sich nie mit Sicherheit vorhersagen lässt, wann sie abgeschlossen ist. Zunächst einmal kommt es auf die Art des Bruchs an, dann darauf, um welchen Knochen es sich handelt, denn es gibt einige, die brauchen sehr lange, um zusammenzuwachsen, zum Beispiel das Schienbein, andere wiederum benötigen nicht so viel Zeit, wie das Schlüsselbein. Die Heilgeschwindigkeit ist zudem bei jedem Menschen verschieden, doch lässt sich generell sagen, dass Knochen bei Jüngeren schneller zusammenwachsen als bei Älteren.«
    »Sehr interessant, Cirurgicus.«
    »Dazu kommt, aber das ist nur eine Vermutung von mir, die Ernährung.« Vitus schob sich eine Portion Ei in den Mund. »Einfach gesagt: Wer kaum oder schlecht isst, hat weniger Aussicht auf schnellen Heilerfolg.«
    »Da kann ich ja von Glück sagen, dass ich immer aufzuessen pflege.« Lord Collincourt lächelte fein und wischte sich abschließend den Mund. »Esst nur weiter, Cirurgicus, bis Ihr satt seid. Ich kann mich erinnern, als ich so alt war wie Ihr, konnte ich Unmengen in mich hineinschlingen.«
    »Danke, Mylord.«
    »Im Anschluss an unser Frühstück möchte ich mit Euch im Schlossgarten ein wenig spazieren gehen. Bei der Gelegenheit würde ich gern mehr über Euch erfahren. Ihr mögt es neugierig nennen, aber ich ...«
    »Aber nein, Mylord, ganz und gar nicht. Es wird mir ein Vergnügen sein, Euch Auskunft zu geben. Ich fürchte nur, dass ich nicht alle Fragen beantworten kann.«
    »Wir werden sehen.« In Lord Collincourts Augen lag ein seltsamer Glanz.

    »Greenvale Castle wurde anno 1183 von einem meiner vielen Vorfahren erbaut«, erzählte der Lord im Plauderton, während er, von Vitus gestützt, durch die sorgfältig für den Winter vorbereiteten Anlagen schritt. »Sein Name war Edward Collincourt. Ihr findet sein Porträt wie viele andere neben der großen Treppe, die in die oberen Gemächer führt. Habt Ihr Euch die Gemälde schon angeschaut?«
    »Nur flüchtig, Mylord, wie ich gestehen muss. Ich habe mir in den vergangenen Tagen mehr die Umgebung des Schlosses angesehen, es ist wunderschön hier. Alles ist irgendwie vertraut, so, als würde ich es schon immer kennen.«
    »Hm.« Lord Collincourt schaute fort, denn er wollte nicht, dass Vitus seinen Gesichtsausdruck sah. »Dann ist Euch sicher auch nicht aufgefallen, dass die Köpfe der Collincourts durchaus sehr unterschiedlich sind, aber alle eines gemeinsam haben - das tiefe Grübchen im Kinn.«
    Er deutete auf sein eigenes Gesicht. »Wie Ihr seht, habe ich es auch. Und wie der Zufall es will, Ihr ebenso.«
    Ohne Vitus' Antwort abzuwarten, steuerte er auf ein kleines Rondell zu, das aus einer immergrünen Ligusterhecke bestand. »Hier befindet sich eine Bank, Cirurgicus, die zu meinen Lieblingsplätzen gehört. Ich hänge dort häufig meinen Gedanken nach.«
    Als sie sich gesetzt hatten, blickte der alte Herr Vitus direkt in die Augen. »Und nun erzählt mir aus Eurem Leben, am besten von Anfang an. Doch zuvor verratet mir, was in der Tasche steckt, die Ihr am Gürtel tragt und zu der Ihr die ganze Zeit herunterschielt.«
    »Diese Tasche, Mylord«, Vitus zögerte unwillkürlich,
    »ist vielleicht der Schlüssel zu meiner ganzen Geschichte.«
    Langsam, fast widerstrebend, öffnete er sie und holte das rote Damasttuch hervor.
    »Was ist das für ein Tuch?«
    »Es ist mein Wickeltuch, Mylord. Man entdeckte mich darin am 9. März anno 1556, und der Finder war der Abt des Klosters Campodios, der ehrwürdige Vater Hardinus.«
    Vitus begann das Tuch auseinander zu falten. Das golddurchwirkte Zeichen wurde sichtbar.
    »Als Anhaltspunkt für meine Herkunft habe ich nur dieses Wappen, Mylord, ich nehme an, es kommt Euch bekannt vor.«
    »Ich ... ich ...«, die Finger des alten Mannes krallten sich in Vitus' Unterarm,
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