Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg
Autoren: Serno Wolf
Vom Netzwerk:
Der alte Mann, der jetzt auf eigenen Beinen stand, atmete pfeifend. Er musste große Schmerzen haben, auch wenn er sich bemühte, sie nicht zu zeigen. Swaizy stützte den schwankenden Leib.
    »Schnell, eine Trage!«, rief Vitus.
    Das Personal, wohl an die fünfundzwanzig Männer und Frauen unterschiedlichsten Alters, war herbeigelaufen und steckte unsicher die Köpfe zusammen.
    »Eine Trage, Leute! Wisst ihr nicht, was eine Trage ist?«, hakte der Magister ungeduldig nach.
    Eine kompakte, ältere Frau fasste sich als Erste.
    »Ich fürchte, wir haben so etwas nicht, Gentlemen«, erklärte sie und deutete einen Knicks an. »Ich bin Mrs. Melrose, die Köchin.«
    »Schön, Mrs. Melrose, dann sorgt bitte dafür, dass rasch ein Stuhl besorgt wird«, befahl Vitus. »Wir werden Euren Herrn daraufsetzen und so in sein Schlafzimmer tragen.«
    »Jawohl, Sir.«
    »Sir, mit Eurer Erlaubnis werde ich selbst mich darum kümmern. Ich bin übrigens Twigg, der Verwalter.«
    Endlich kommt Leben in die Leute!, dachte Vitus, um gleich darauf feststellen zu müssen, dass der persönliche Einsatz des Verwalters sich im Heranwinken zweier Knechte erschöpfte. Immerhin liefen die beiden schnurstracks zur Treppe.
    »Danke, Twigg.«
    »Und ich bin Hartford, der persönliche Diener Seiner Lordschaft.« Hartford machte eine tiefe Verbeugung, die angesichts der aufkommenden Hektik deplatziert wirkte. Wenig später wurde der alte Herr nach oben getragen.
    »Den Stuhl hier vors Bett«, ordnete Vitus an, als sie in den Privatgemächern des Schlossherrn angekommen waren.
    »Ich werde Seine Lordschaft noch einmal gründlich untersuchen, dazu bitte ich alle, die mir nicht helfen können, hinaus.« Als nur noch er, der Magister, Enano und Hartford, der sich nicht abwimmeln ließ, im Raum waren, atmete Vitus auf.
    »Wie fühlt Ihr Euch jetzt, Mylord?«
    »Schon besser. Wenn nur die vermaledeiten Schmerzen nicht wären.«
    »Darum kümmere ich mich sofort. Seid Ihr damit einverstanden, wenn Hartford Euch den Oberkörper freimacht? Ich kann Euch dann besser untersuchen.«
    Lord Collincourt nickte. »Sicher. Er tut's ja jeden Abend.«
    »Danke, Mylord.«
    »Mit wem habe ich eigentlich das Vergnügen?« Vitus zögerte kurz. Zum jetzigen Zeitpunkt über eine mögliche Verwandtschaft zu sprechen, wäre sicher verfrüht. Das musste warten. »Verzeihung, Mylord, ich vergaß, uns vorzustellen: Man nennt mich Vitus von Campodios. Das ist mein Assistent und Freund, der Magister Ramiro Garcia. Er ist von Hause aus Jurist. Und hier haben wir Enano, den Zwerg.« Der kleine Gelehrte und der Winzling verbeugten sich.
    »Es ist uns ein Vergnügen, Mylord.«
    »Vitus von Campodios ...«, wiederholte der Schlossherr nachdenklich, ohne auf die beiden anderen einzugehen. »Campodios? Was bedeutet Campodios?«
    Vitus erklärte es ihm.
    »Ein Spanier seid Ihr also. Aus einem Zisterzienserkloster. Nun, für mich seht Ihr eher wie ein Normanne aus.«
    »Darüber können wir vielleicht später reden. Ihr gestattet ...« Vitus betastete den Schädel des Verletzten von allen Seiten, stellte zu seiner Erleichterung nichts Ungewöhnliches fest und klopfte daraufhin mit großer Sorgfalt den Oberkörper ab. Besonders in der Rippengegend verspürte der alte Mann stechende Schmerzen, die sich beim tiefen Einatmen noch steigerten.
    »Atmet flach«, riet Vitus freundlich. »Die costae, also Eure Rippen, abzutasten, unterlasse ich besser, doch ich möchte Euch bitten, ein paar Schritte mit geschlossenen Augen zu tun.«
    Der alte Lord gehorchte. Er bewegte sich in Richtung Schlafzimmerfenster, langsam zwar, aber ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
    »Wie steht es mit Eurem Sehvermögen? Keine Schleier vor den Augen? Nichts, was Ihr doppelt wahrnahmt?«
    »Alles ganz normal«, antwortete der Lord. In seinen Mundwinkeln zeigte sich, trotz allem, leiser Spott. »So normal jedenfalls, dass ich jede Wette annehmen würde: Ihr seid der am unspanischsten aussehende Spanier von ganz England. Doch Scherz beiseite: Warum sollte etwas mit meinen Augen nicht in Ordnung sein?«»Reine Formsache, Mylord. Und das Hörvermögen?«
    »Wie immer, denke ich.«
    »Sehr schön.« Vitus wollte den alten Mann nicht beunruhigen, deshalb verschwieg er den Grund für seine Fragen: Eingeschränktes Seh-oder Hörvermögen galt als Indiz für den Schädelbruch. Er wandte sich an den Diener:
    »Da ich annehme, Hartford, dass Ihr Euren Herrn nach wie vor nicht aus den Augen lassen wollt, muss ich den Zwerg bitten, mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher