Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
Vom Netzwerk:
selbst ein wenig nervös zu
werden. Vielleicht hätte ich Lewis wirklich nicht bei mir einquartieren sollen,
aber was ich tat, war schließlich barmherzig, vorübergehend und ohne
Hintergedanken. Und Paul hatte mir gegenüber keine Rechte. Ich beschloß, ihm
das klarzumachen. Er sagte, er habe mir gegenüber die Rechte, die jeder
vernünftige Mann einer ahnungslosen Frau gegenüber hat, und andere
Abgeschmacktheiten... Wir stritten uns. Er ging zornig weg und ließ mich von
Müdigkeit überwältigt vor einem lauwarmen Whisky in meinem Korbsessel zurück.
Es war sechs Uhr vorbei, die Schatten auf dem verunkrauteten Rasen wurden schon
länger, und ich hatte einen leeren Abend vor mir, denn mein Streit mit Paul
hatte mich um die Party gebracht, die wir zusammen besuchen wollten. Blieben
mir nur das Fernsehen, das ich im allgemeinen ziemlich langweilig finde, und
die paar brummigen Bemerkungen, die ich von Lewis zu erwarten hatte, wenn ich
ihm das Abendessen brachte. Ein so schweigsames Wesen war mir noch nie begegnet.
Klar ausgedrückt hatte er sich nur am Tage nach dem Unfall, als er seine
Absicht, das Krankenhaus zu verlassen, bekanntgab, und meine Gastfreundschaft
hatte er als etwas Selbstverständliches hingenommen. Ich war an diesem Tage in
sehr guter, zweifellos zu guter, Stimmung gewesen und hatte einen jener Gott
sei Dank seltenen Augenblicke erlebt, da man in allen Menschen zugleich Brüder
und Kinder sieht, um die man sich kümmern muß. Seit seiner Entlassung
verköstigte ich Lewis, der träge ausgestreckt auf einem Bett lag, das Bein mit
einem Verband umwickelt, den er selbst wechselte. Er las nicht, hörte nicht
Radio und sprach nicht. Ab und zu verfertigte er aus dem Holz abgestorbener
Äste, die ich ihm aus dem Garten hinaufbrachte, irgendeinen seltsamen Gegenstand.
Oder er starrte mit unbeteiligter Miene unverwandt aus dem Fenster. Ich fragte
mich, ob er nicht regelrecht schwachsinnig sei, und diese Vorstellung erschien
mir, wenn ich dazu seine Schönheit betrachtete, sehr romantisch. Auf meine
gelegentlichen vorsichtigen Fragen bezüglich seiner Vergangenheit erhielt ich
immer dieselbe Antwort: »Das ist nicht interessant.« Er war eines Nachts vor
unserem Wagen auf der Straße aufgetaucht, und er hieß Lewis. Das war alles.
Einstweilen fand ich das sehr bequem: Lange Ergüsse ermüden mich, und Gott
weiß, daß mich die Leute im allgemeinen nicht damit verschonen.
    Ich ging also in die Küche, machte mit
Hilfe von Konserven rasch ein schmackhaftes Abendessen zurecht und ging die
Treppe hinauf. Ich klopfte an Lewis’ Tür, trat ein und stellte das Tablett auf
sein Bett, das mit Holzspänen bestreut war. Sie erinnerten mich an den, der
Paul auf den Kopf gefallen war, und ich lachte. Lewis hob neugierig den Kopf.
Er hatte die gespaltenen Augen einer Katze, ein sehr helles Blaugrün unter
schwarzen Brauen, und ich dachte, daß ihn die Columbia allein dieses Blickes
wegen sofort engagieren würde.
    »Sie lachen?«
    Er hatte eine tiefe, ein wenig rauhe,
stockende Stimme.
    »Ich lache, weil Paul gerade einen
Ihrer Späne durchs Fenster auf den Kopf bekam und ungehalten war.«
    »Hat es ihm sehr weh getan?«
    Ich sah ihn verblüfft an. Das war der
erste Scherz, den er sich erlaubte, oder ich hoffte jedenfalls, daß es einer
sein sollte. Ich lachte ein wenig albern und fühlte mich scheußlich
unbehaglich. Paul hatte wohl recht. Was fing ich mit diesem jungen Verrückten
an, an einem Samstagabend in einem alleinstehenden Haus? Ich hätte jetzt mit
Freunden tanzen und lachen oder ein wenig mit dem lieben Paul oder sonst
jemandem flirten können...
    »Sie gehen nicht aus?«
    »Nein«, antwortete ich bitter. »Ich
störe Sie doch nicht?«
    Im nächsten Augenblick bereute ich
meine Worte. Sie verstießen gegen alle Gesetze der Gastfreundschaft. Aber nun
begann Lewis zu lachen, kindlich, herzlich, entzückt. Er war plötzlich so, wie
er seinem Alter nach sein mußte, hatte allein dank diesem Lachen eine Seele.
    »Langweilen Sie sich sehr?«
    Die Frage traf mich unvorbereitet. Weiß
man denn, ob man sich in dem sonderbaren Wirrwarr, den man Leben nennt, sehr,
ein wenig oder unbewußt langweilt? Ich gab eine bürgerliche Antwort:
    »Dazu habe ich keine Zeit. Ich bin
Drehbuchautorin bei der RKB, und ich...«
    »Dort unten?«
    Er machte mit dem Kinn eine Bewegung
nach links, die vage die glitzernde Bucht von Santa Monica, Beverly Hills, den
riesigen Vorort von Los Angeles, die Studios und die Produktionsbüros
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher