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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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stand auf. Seine Stimme war ruhig
und fest. Ich begann die Schluchzer Louella Schrimps einigermaßen zu verstehen.
    »Bleiben Sie hier, Dorothy. Ich will
telefonieren.«
    Er ging mit großen Schritten auf die
dunklen Schatten der ein Stück entfernten Häuser zu. Ich blieb allein auf der
Straße zurück, neben dem Mann kniend, der vielleicht im Sterben lag. Plötzlich
öffnete er die Augen, sah mich an und lächelte.
     
     
     

ZWEITES KAPITEL
     
    »Dorothy, sind Sie völlig verrückt?«
    Es fällt mir immer sehr schwer, auf
solche Fragen zu antworten. Diese wurde mir zudem von Paul gestellt, der in
einem eleganten dunkelblauen Blazer vor mir stand und mich streng ansah. Wir
waren auf der Terrasse meines Hauses, und ich trug Gartenkleidung: eine alte
Leinenhose, eine Bluse mit verblaßten Blumen und ein Tuch ums Haar. Nicht, daß
ich je in meinem Leben gegärtnert hätte — der bloße Anblick einer Heckenschere
erschreckt mich —, aber ich liebe die Verkleidung. Daher kostümiere ich mich
jeden Samstagabend wie meine Nachbarinnen als Gärtnerin. Anstatt aber hinter
einem außer Rand und Band geratenen Rasenmäher herzulaufen oder rebellische
Beete zu jäten, lasse ich mich mit einem Buch in der Hand vor einem großen
Whisky auf meiner Terrasse nieder. Bei dieser Beschäftigung hatte mich,
zwischen sechs und acht, Paul ertappt. Ich fühlte mich schuldig und
vernachlässigt, und beide Empfindungen waren annähernd gleich heftig.
    »Alle Welt spricht über Ihren letzten
Streich.«
    »Alle Welt, alle Welt«, wiederholte ich
mit ebenso ungläubiger wie bescheidener Miene.
    »Was, um Himmels willen, treibt der
Bursche bei Ihnen?«
    »Er erholt sich, Paul, er erholt sich.
Immerhin ist sein Bein übel zugerichtet. Und Sie wissen, daß er nicht einen
Dollar hat, keine Familie, überhaupt nichts.«
    Paul holte tief Atem.
    »Gerade das beunruhigt mich ja, meine
Liebe. Das und die Tatsache, daß er mit LSD geladen war, als er sich unter
meinen Wagen warf.«
    »Aber Paul, er hat es Ihnen doch selbst
erklärt. Unter dem Einfluß der Droge hat er den Wagen nicht als solchen
wahrgenommen. Er hielt die Scheinwerfer für...«
    Paul lief plötzlich rot an.
    »Was er sich eingebildet hat, ist mir
gleichgültig. Dieser Schwachsinnige, dieser kleine Strolch bringt uns beinahe
um, und einen Tag später nehmen Sie ihn bei sich auf. Sie quartieren ihn in
Ihrem Gästezimmer ein und bringen ihm das Essen hinauf. Und wenn er Sie eines
Tages abmurkst, weil er Sie für ein Huhn oder Gott weiß was hält? Und wenn er
mit Ihrem Schmuck durchbrennt?«
    Ich protestierte:
    »Na hören Sie, Paul. Bis jetzt hat mich
noch niemand für ein Huhn gehalten, und mein Schmuck ist kein Vermögen. Schließlich
konnte man ihn, halb krank, wie er war, nicht auf die Straße schicken.«
    »Sie können ihn doch ins Krankenhaus
schicken.«
    »Er fand dieses Krankenhaus unheimlich,
und ich gebe zu, daß es das war.«
    Paul machte ein verzweifeltes Gesicht
und setzte sich mir gegenüber in den Korbsessel. Er griff sogar mechanisch nach
meinem Glas und trank es zur Hälfte aus. Ich ließ es zu, obwohl ich mich
ärgerte. Er war offensichtlich mit den Nerven am Ende. Er musterte mich mit
einem eigentümlichen Blick.
    »Sie haben im Garten gearbeitet?«
    Ich nickte mehrere Male. Merkwürdig,
wie manche Männer einen ständig zwingen, sie zu belügen. Ich fühlte mich völlig
außerstande, Paul meine unschuldigen Samstagbeschäftigungen zu erklären. Er
würde mich nur wieder für verrückt gehalten haben, und ich begann mich zu
fragen, ob er nicht recht hatte.
    »Man merkt nichts davon«, sagte er nach
einem Blick in die Runde.
    Mein armseliges Stückchen Garten ist
tatsächlich eine Wildnis, aber ich spielte trotzdem die Beleidigte.
    »Ich tue, was ich kann«, sagte ich.
    »Was haben Sie in Ihren Haaren?«
    Ich fuhr mir übers Haar und zog zwei
oder drei Holzspäne, weiß und klein wie Blätter, heraus. Ich war verdutzt.
    »Das sind Späne«, sagte ich.
    »Ich sehe es«, sagte Paul scharf. »Auf
dem Boden liegen auch überall welche herum. Beschäftigen Sie sich neben dem
Gärtnern auch noch mit der Tischlerei?«
    In diesem Augenblick segelte ein
leichter Span vom Himmel herab und ließ sich auf seinem Kopf nieder. Ich
blickte rasch nach oben.
    »Ach ja, ich weiß«, sagte ich. »Das ist
Lewis, der oben auf seinem Bett einen Holzkopf schnitzt, um sich zu
zerstreuen.«
    »Und die Abfälle wirft er
freundlicherweise einfach aus dem Fenster? Köstlich.«
    Ich begann
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