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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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Brauen.
    »Sie haben doch schon von einer
Schauspielerin namens Louella Schrimp gehört?«
    Lewis machte eine vage Geste, die mich
entrüstete, aber ich ging darüber hinweg.
    »Kurz, Frank war geschmeichelt, begeistert.
Er verließ mich, um sie zu heiraten. Damals glaubte ich wie Marie d’Agoult, ich
würde nie darüber hinwegkommen. Ein ganzes Jahr lang oder noch länger. Ist das
so unbegreiflich?«
    »Nein. Was ist aus ihm geworden?«
    »Louella verliebte sich zwei Jahre später
in einen anderen und gab ihm den Laufpaß. Er drehte drei kitschige Filme und
begann zu trinken. Punkt.«
    Ein kurzes Schweigen trat ein. Lewis
stöhnte leise und versuchte, aus seinem Schaukelstuhl aufzustehen. Ich
erschrak.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Ich habe Schmerzen. Manchmal glaube
ich, ich werde nie wieder gehen können.«
    Eine Sekunde lang stellte ich mir vor,
ich würde immer mit ihm, als Krüppel, zusammenleben, und merkwürdig: diese
Möglichkeit erschien mir weder absurd noch unangenehm. Ich hatte vielleicht das
Alter erreicht, in dem man sich eine Last auflädt. Schließlich hatte ich mich
bisher gut gewehrt, hatte lang und gut gekämpft.
    »Sie bleiben hier«, sagte ich heiter.
»Und wenn Ihnen die Zähne ausfallen, koche ich Ihnen Bouillons.«
    »Warum sollten mir die Zähne ausfallen?«
    »Das passiert einem, wenn man zu lange
liegt. Ich gebe zu, es ist paradox. Sie müßten eigentlich eher ausfallen, wenn
man senkrecht steht, auf Grund der Schwerkraft. Aber nein...«
    Er warf mir einen Blick von der Seite
zu, wie Paul, aber freundlicher.
    »Sie sind witzig«, sagte er. »Wissen
Sie, ich werde Sie nie verlassen können.«
    Dann schloß er die Augen und bat mich
mit matter Stimme um Verse. Ich ging in meine Bibliothek, um etwas zu suchen,
das ihm gefallen könnte. Auch das war eines unserer Rituale. Ich las ihm leise,
um ihn nicht zu wecken oder um ihn nicht zu erschrecken, die Verse Lorcas über
Walt Whitman vor:
    Der Himmel hat Strände, wo man dem
gegenwärtigen Leben ausweicht, und es gibt Körper, die in der Morgenröte nicht
wieder erscheinen dürfen.
     
     
     

VIERTES KAPITEL
     
    Ich war mitten in der Arbeit, als ich
die Nachricht erhielt. Genauer gesagt: Ich diktierte meiner Sekretärin gerade
den von mir erdachten erschütternden Dialog zwischen Marie d’Agoult und Franz
Liszt, ohne Begeisterung allerdings, denn ich hatte tags zuvor erfahren, daß
Nodin Duke den Liszt spielen sollte, und konnte mir ungefähr vorstellen, was
dieser braungebrannte Muskelprotz aus der Rolle machen würde. Aber der Film hat
seine wunderlichen, verhängnisvollen, dadaistischen Irrtümer. Wie dem auch sei,
ich murmelte gerade »etwas Unwiderrufliches« ins Ohr meiner weinenden
Sekretärin — sie ist außerordentlich empfindsam —, als das Telefon läutete. Sie
hob ab, schneuzte sich laut und wandte sich an mich:
    »Es ist Mr. Paul Brett, Madam. Er sagt,
es sei dringend.«
    Ich nahm den Hörer.
    »Dorothy? Haben Sie es schon gehört?«
    »Nein. Ich wüßte nicht...«
    »Meine liebe Freundin... äh... Frank
ist tot.«
    Ich schwieg. Er erregte sich: »Frank
Saylor. Ihr ehemaliger Mann. Er hat heute nacht Selbstmord begangen.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich.
    Ich dachte es auch. Frank hatte nie Mut
in irgendeiner Form besessen. Sehr viel Charme ja, aber keinen Mut. Und meiner
Meinung nach gehört großer Mut dazu, sich zu töten. Man braucht nur an die
vielen Menschen zu denken, die nichts Besseres tun könnten und es trotzdem
nicht über sich bringen.
    »Doch«, hörte ich wieder Pauls Stimme.
»Er hat sich gegen Morgen in einem schäbigen Motel in Ihrer Nähe erschossen. Es
gibt keine Erklärung.«
    Mein Herz klopfte langsam, ganz
langsam. So stark und so langsam. Frank... Franks Fröhlichkeit, Franks Lachen,
Franks Haut... tot. Seltsam, daß einen der Tod eines oberflächlichen Menschen
tiefer erschüttert als der Tod eines ernsten Menschen. Ich konnte es nicht
glauben.
    »Dorothy... Hören Sie mich?«
    »Ich höre Sie.«
    »Dorothy, Sie müssen kommen. Er hat
keine Angehörigen, und Louella ist, wie Sie wissen, in Rom. Es tut mir leid,
Dorothy, aber Sie müssen der Formalitäten wegen kommen. Ich hole Sie ab.«
    Er legte auf. Ich reichte den Hörer
meiner Sekretärin — sie heißt Candy, Gott weiß, warum — und setzte mich wieder.
Sie sah mich an, und mit dem Sinn für das Zweckdienliche, der sie mir so
kostbar machte, stand sie auf, zog ein Schubfach heraus, auf dem »Archiv«
steht, nahm die Flasche Chivas, die
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