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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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ich bin geheilt.«
    In diesem Augenblick war mir bewußt
geworden, daß ich so an seine Gegenwart, an seine Halbinvalidität gewöhnt war,
daß ich mir das nie vorgestellt hatte: das, was nun geschah. Er würde »auf
Wiedersehn« und »danke« sagen und um das Haus herum verschwinden. Ich würde ihn
nie wiedersehen. Ein seltsamer Schmerz drückte mir das Herz zusammen.
    »Das ist eine gute Nachricht«, sagte
ich schwach.
    »Finden Sie?«
    »Aber ja. Was... was werden Sie jetzt
machen?«
    »Das hängt von Ihnen ab«, sagte er
ruhig und setzte sich wieder.
    Ich atmete auf. Er wollte mich
wenigstens nicht gleich verlassen. Andererseits machten mich seine letzten
Worte neugierig. Wie sollte das Schicksal eines so unbeständigen,
gleichgültigen, freien Geschöpfs von mir abhängen? Ich war für ihn schließlich
nur eine Art Krankenschwester gewesen.
    »Wenn ich hier bleibe, werde ich wohl
arbeiten müssen«, fuhr er fort.
    »Wollen Sie sich in Los Angeles
niederlassen?«
    »Ich sagte hier«, erwiderte er
ernst und deutete mit dem Kinn auf die Veranda und seinen Fauteuil. Und nach
einer Weile fügte er hinzu: »Natürlich nur, wenn es Sie nicht stört.«
    Ich ließ meine Zigarette fallen, hob
sie wieder auf, stand auf und murmelte so etwas wie: »Na hören Sie... Was Sie
da sagen... Ah, nein! Wenn ich geahnt hätte« und so weiter. Er sah mich an und
rührte sich nicht. In schrecklicher Verlegenheit — seinetwegen, das war die
Höhe! — floh ich in die Küche und nahm einen riesigen Schluck Scotch aus der
Flasche. Ich wurde noch zur Alkoholikerin, wenn ich es nicht schon war. Ein
wenig gefaßter ging ich wieder auf die Terrasse hinaus. Es war Zeit, dem
Burschen zu erklären, daß ich allein lebte, weil es mir behagte, und keinen
jungen Mann als Gesellschafter brauchte. Daß mich im übrigen seine Anwesenheit
daran hinderte, meine Verehrer mitzubringen, was lästig genug war. Und daß
drittens, drittens, drittens... Kurz, ich sah keinen Grund, weshalb er bleiben
sollte. Ich war plötzlich über seinen Entschluß zu bleiben so entrüstet, wie
ich zwei Minuten zuvor bei dem Gedanken, er könnte gehen, bestürzt gewesen war.
Aber ich wunderte mich längst nicht mehr über meine widersprüchlichen
Empfindungen.
    »Lewis«, sagte ich, »es wird Zeit, daß
wir uns einmal aussprechen.«
    »Das ist nicht der Mühe wert«, sagte
er. »Wenn Sie nicht wollen, daß ich bleibe, gehe ich.«
    »Darum handelt es sich nicht«, sagte
ich verwirrt.
    »Worum denn sonst?«
    Ich starrte ihn mit offenem Munde an.
Ja, worum denn sonst? Andererseits handelte es sich wirklich nicht darum. Ich
wollte gar nicht, daß er ging. Ich mochte ihn gern.
    »Es schickt sich nicht«, sagte ich ohne
Überzeugung.
    Er lachte laut auf, sah wie immer, wenn
er lachte, so jung aus. Ich wurde immer nervöser.
    »Solange Sie krank waren, Ihre
Verletzung hatten, war es normal, daß ich Sie aufnahm. Sie lagen auf der
Straße, konnten nichts unternehmen, Sie...«
    »Und weil ich wieder gehen kann,
schickt es sich nicht mehr?«
    »Es läßt sich nicht mehr erklären.«
    »Läßt sich wem nicht mehr erklären?«
    »Allen!«
    »Sie geben allen Leuten Erklärungen
über Ihr Leben?«
    In seiner Stimme klang eine Verachtung,
die mich wütend machte.
    »Was stellen Sie sich denn eigentlich
vor, Lewis? Ich habe mein eigenes Leben, Freunde, ja sogar... äh... ja sogar
Männer, die mir den Hof machen.«
    Bei diesen letzten Worten, mit denen
ich mich zutiefst demütigte, fühlte ich, wie ich errötete. Mit fünfundvierzig
Jahren! Lewis nickte.
    »Ich weiß, daß es Männer gibt, die in
Sie verliebt sind. Dieser Kerl, zum Beispiel Brett.«
    »Zwischen Paul und mir ist nie etwas
gewesen«, sagte ich tugendhaft. »Im übrigen geht Sie das nichts an. Es genügt,
wenn Sie begreifen, daß Ihre Anwesenheit mich kompromittiert.«
    »Sie sind groß genug«, sagte Lewis mit
Recht. »Ich dachte nur, wenn ich in der Stadt arbeitete, könnte ich weiter hier
wohnen und Ihnen Geld geben.«
    »Aber ich brauche kein Geld. Ich
verdiene genug, um ohne Untermieter auszukommen.«
    »Es wäre weniger peinlich für mich«,
sagte Lewis ruhig.
    Nach einer endlosen Diskussion
schlossen wir einen Kompromiß. Lewis sollte versuchen, Arbeit zu finden, und
sich nach einiger Zeit nach einer anderen Unterkunft umsehen, in der Nähe, wenn
ihm so viel daran lag. Er war mit allem einverstanden, und wir gingen in bestem
Einvernehmen schlafen. Die einzige Frage, die wir, wie mir vor dem Einschlafen
noch einfiel,
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