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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens
Autoren: Françoise Sagan
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nicht erörtert hatten, war die: Warum wollte er eigentlich in
meiner Nähe bleiben?
     
    Tags darauf tat ich mich ein wenig in
den Studios um, sprach von einem jungen Mann mit dem Aussehen eines Engels und
erntete ein paar ironische Bemerkungen und eine Verabredung für Lewis. Er ging
mit mir ins Studio, absolvierte gehorsam seine Probeaufnahmen, und Jay Grant,
mein Chef, versprach, ihn an einem Tag der darauffolgenden Woche zu empfangen.
Das war heute. Jay saß im Vorführsaal und begutachtete Lewis und ein Dutzend
andere aufstrebende Talente, ich kaute an meinem Füllfederhalter, und Candy,
die sich auf den ersten Blick in Lewis verliebt hatte, tippte lustlos auf der
Maschine.
    »Sie haben keine sehr schöne Aussicht«,
sagte Lewis zerstreut.
    Ich warf einen Blick auf den vergilbten
Rasen unter meinem Fenster. Als ob ich an nichts Wichtigeres zu denken hätte.
Dieser junge Mann wurde vielleicht ein ganz großer Star, der Verführer Nummer
Eins der Vereinigten Staaten, und er redete von meiner Aussicht! Ich stellte
ihn mir als Idol der Menge vor, mit Oscars überhäuft. Er fuhr um die ganze Welt
und machte von Zeit zu Zeit mit seinem Cadillac einen kleinen Abstecher, um die
gute alte Dorothy zu umarmen, die ihm seinerzeit den Steigbügel gehalten hatte.
Ich empfand Mitleid mit mir selbst, als plötzlich das Telefon klingelte. Ich
hob mit feuchter Hand den Hörer ab.
    »Dorothy? Hier spricht Jay. Hören Sie,
meine Liebe, Ihr Kleiner ist sehr gut, großartig. Kommen Sie herüber und sehen
Sie sich das auf der Leinwand an. Das ist das beste, was ich seit James Dean
gesehen habe.«
    »Er ist bei mir«, sagte ich mit Würgen
in der Kehle.
    »Ausgezeichnet. Bringen Sie ihn mit.«
    Nachdem Candy uns umarmt hatte, wobei
sie sich wieder einmal die Tränen aus den Augen wischen mußte, sprangen wir in
meinen Wagen, legten die drei Kilometer zum Vorführsaal in Rekordzeit zurück
und stürzten uns Jay in die Arme. Ich sage »wir«, aber das trifft nicht zu,
denn Lewis pfiff vor sich hin, ließ sich Zeit und machte einen völlig
uninteressierten Eindruck. Er begrüßte Jay höflich, setzte sich im Dunkeln
neben mich, und seine Probeaufnahmen liefen ab.
    Er hatte auf der Leinwand ein anderes
Gesicht, etwas Unbestimmbares, Heftiges, Grausames, etwas außerordentlich
Anziehendes, wie ich zugeben muß, das mir aber Unbehagen bereitete. Ich sah
einen Unbekannten, der mit unglaublicher Selbstsicherheit und Ungezwungenheit
aufstand, sich an eine Mauer lehnte, eine Zigarette anzündete, gähnte und
lächelte, als wäre er allein. Die Kamera hatte ihn offensichtlich nicht
gestört, ja, ich mußte mich fragen, ob er sie überhaupt gesehen hatte. Das
Licht ging wieder an, und Jay wandte sich triumphierend an mich:
    »Was sagen Sie, Dorothy?«
    Selbstverständlich hatte er ihn
entdeckt. Ich nickte mehrere Male, ohne ein Wort zu sagen. Das ist die Art. von
Mimik, die hier am besten zieht. Jay wandte sich an Lewis:
    »Wie finden Sie sich?«
    »Gar nicht«, sagte Lewis nüchtern.
    »Wo haben Sie spielen gelernt?«
    »Nirgends.«
    »Nirgends? Na hören Sie, alter Junge...«
    Lewis stand auf. Er sah plötzlich
angewidert aus.
    »Ich lüge nie, Mr....«
    »Grant«, sagte Jay mechanisch.
    »Ich lüge nie, Mr. Grant.«
    Zum erstenmal in meinem Leben sah ich
Jay Grant verlegen werden. Er errötete ein wenig und sagte:
    »Ich behaupte nicht, daß Sie lügen,
aber für einen Anfänger haben Sie eine erstaunliche Unbefangenheit. Dorothy
kann es Ihnen bestätigen.«
    Er wandte sich mit einer beinahe
flehenden Miene an mich, über die ich am liebsten gelacht hätte. Ich kam ihm zu
Hilfe.
    »Das ist wahr, Lewis. Sie sind sehr
gut.«
    Er sah mich an, lächelte und neigte
sich plötzlich so nahe zu mir, als wären wir allein.
    »Wirklich? Ich habe Ihnen gefallen?«
    Sein Gesicht war zwei Zentimeter von
meinem entfernt. Ich wand mich in peinlicher Verlegenheit in meinem Fauteuil.
    »Aber ja, Lewis, ich bin sicher, daß
Sie Karriere machen werden, und ich...«
    Jay hüstelte diskret. Ich hatte darauf
gewartet.
    »Ich lasse einen Vertrag für Sie
aufsetzen. Lewis, den Sie einem Anwalt vorlegen können, wenn Sie wollen. Wo
erreiche ich Sie?«
    In meinem Fauteuil verkrochen,
niedergeschmettert, hörte ich Lewis gelassen antworten:
    »Ich wohne bei Miss Seymour.«
     
     
     

SECHSTES KAPITEL
     
    Es gab nur einen kleinen Skandal, denn
ich war in Hollywood keine wichtige Persönlichkeit. Ich bekam einige Kommentare
innerhalb der Firma zu hören und einige
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