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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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Anstecher. Damit schaffte er sich freilich keine Freunde, und nicht zuletzt fiel dadurch auch ein gewichtiger Verdacht auf Konrad Peitinger, den Pfleger der Weinlände. Der war ein vierschrötiger, mürrischer Kerl, dem der Wein aus den Augen sah. Und wer es nicht von Berufs wegen mußte, der mochte mit ihm keinen engen Umgang pflegen. Glücklicherweise trat Ludwig, der jüngere Bruder des alten Pütrich, in dessen Auftrag der Wein nach München geflößt worden war, für den arg bedrängten Jakob ein. Es seien den Flößern etliche Maß Trinkwein zugebilligt worden, so beteuerte er gegenüber den herbeigerufenen Richtersknechten, und der Schwund entspräche wohl ziemlich genau dieser Menge, so daß niemand einen Schaden davontrüge. Sie verfolgten daraufhin den Zwischenfall nicht weiter.
    Jakob dankte dem Kaufmann für seine noble Haltung, fragte sich aber zugleich, was ihn wohl dazu bewogen habe.
    »Dankt nicht mir, dankt dem Herrn dafür, daß er mich im rechten Augenblick zur Stelle sein ließ, um Euch vor einem Unrecht zu bewahren. Ihr habt unserem Handelshaus bisher recht zuverlässig gedient, was man beileibe nicht von jedermann sagen kann.« Er warf einen geringschätzigen Blick auf den Pfleger. »Ich glaube nicht an ein Verschulden Eurerseits. Vielleicht könnt Ihr Euch ja eines Tages in anderer Weise erkenntlich zeigen.«
    Jakob war noch einmal davongekommen und fühlte sich seither den Pütrichs in besonderer Weise verpflichtet. Mit seinem Verdacht auf Konrad Peitinger aber hatte er sich grimmige Feindschaft eingehandelt. Er mußte vor ihm auf der Hut sein.
    Während er nun gedankenverloren seinen Brei löffelte, saß Lies ihm schweigend gegenüber. Sie dachte an die Kinder, die in dem abgetrennten Verschlag noch selig ruhten und nichts von der quälenden Unruhe verspürten, die ihrer Mutter Herz fast zum Zerreißen plagte. Plötzlich schoß ihr in den Sinn, daß die Buben ihren Vater vielleicht nie mehr zu Gesicht bekämen, daß es nie mehr so sein würde wie jetzt… Sie durfte nicht weiterdenken, mußte sich ablenken. Ihre nervösen Finger prüften noch einmal die zum Mitnehmen vorbereitete Brotzeit – verschoben den Bierkrug, rückten die Becher zurecht, gossen nach – und warfen mit einer fahrigen Bewegung das Salzfaß um. Sie unterdrückte gerade noch den Schrei, schlug die Hände vor den Mund, lähmendes Entsetzen in den Augen. Nun auch noch das Salz. Jakob sah auf und gewahrte den Schmerz und die Tränen in ihren Augen. Er legte wortlos den Löffel beiseite, stand auf, ging um den Tisch herum. Er strich ihr übers Haar, während sie ihn noch im Sitzen umklammerte und nun, am ganzen Körper geschüttelt, den Tränen ungehemmt ihren Lauf ließ. Nach einer Weile wurde sie ruhiger, stand auf, wischte sich über die Augen, versuchte ein Lächeln: »Verzeih mir!«
    »Ist gut.« Mehr vermochte er nicht zu sagen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt und staubtrocken. Er mußte jetzt ganz schnell fort. Dies war für beide das beste. Er nahm den Rucksack von der Wand, den er am Abend zuvor schon gepackt hatte und legte noch Brot und Käse hinein. Er öffnete vorsichtig die Tür zur Kammer, warf einen liebevollen und stolzen Blick auf die schlafenden Knaben, stieg danach in die festen Bundschuhe, umgürtete sich mit der Geldkatz und schulterte Rucksack und Floßhacke. Lies begleitete ihn vor die Türe.
    »Schau, das Wetter wird gut. In Gottes Namen bin ich in ein paar Tagen zurück. Sorg dich nicht mehr! Und geh zum Nantwein und steck ihm eine Kerze auf! Er weiß, wie es unsereinem ergeht und zumute ist.«
    Es war noch nicht so lange her, da hatten Neider den seligen Nantwein auf seiner Pilgerfahrt nach Rom wegen des Geldes, das er bei sich trug, falsch bezichtigt, und der herzogliche Richter, Ganterus zu Wolfratshausen, hatte ihn am Hochufer der Isar verbrennen lassen. Seither wurde er dort verehrt und seine Hirnschale wie eine Reliquie aufbewahrt. Und jeder, der sich falsch beschuldigt glaubte, konnte bei ihm Trost suchen.
    »Jakob, bitte trag dies! Es ist noch von meiner Mutter, und sie hat was davon verstanden.« Sie hängte ihm das Amulett um den Hals: ein kleiner, dunkelrot schimmernder Karfunkel, in Silber gefaßt. Er konnte seinen Besitzer vor allen Gefahren auf Reisen schützen. Man erzählte sich, er verlöre seinen Glanz, wenn Unheil bevorstünde. Darüber hinaus hatte er die hübsche Eigenschaft, Trübsal zu vertreiben, den Träger froh zu stimmen und bei seinen Mitmenschen Beliebtheit zu
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