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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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gewinnen drohte, bis er in seiner Entscheidung gelähmt wäre. Er durfte dies nicht zulassen.
    »Schluß jetzt! Kein Wort mehr! Es wird schon höchste Zeit für mich.« Er schlug die wollene Decke zurück und schickte sich an, das harte Strohlager zu verlassen, als sie seine Hand ergriff und ihn flehentlich ansah. Er hatte ungewöhnlich heftig reagiert, und sie wußte, daß dies nicht seinem eigentlichen Wesen entsprach. Aber sie wußte nun auch, daß es ihr nicht möglich war, ihn umzustimmen. Er hielt den Blick von ihr abgewandt. Während sie langsam seine Hand aus der ihren entließ, spürte sie immer deutlicher, wie sich zur Angst tiefe Traurigkeit gesellte.
    Jakob schlüpfte in die Beinlinge und trat vor die Tür. Der Boden war feucht, und es tropfte noch überall von den Bäumen. Aber der Regen hatte tatsächlich aufgehört. Düstere Wolken ließen zwar noch keine ungehemmte Freude aufkommen, aber ein frischer Wind trieb sie bereits nach Osten. Hier und da riß die Wolkendecke schon kräftig auf und gewährte im Dämmerlicht des anbrechenden Tages einen Blick auf den langersehnten, blauen Himmel. Das Wetter hatte sich eindeutig gebessert.
    Jakob war froh darüber und sandte einen kurzen Dank zum Himmel, der sein Vorhaben ganz offensichtlich mit Wohlwollen begleitete. Allmählich gewann er seine alte Sicherheit und Entschlossenheit wieder. Er ging die wenigen Schritte zum Brunnen, zog sich einen Eimer frischen Wassers herauf und verscheuchte damit die restliche Müdigkeit aus Gesicht und Gliedern. Das wollene Hemd, das er daraufhin anlegte, schützte ihn gut gegen die morgendliche Kühle auf seinem Rundgang durch das kleine Anwesen. Er schaute nach den wenigen Schafen, begrüßte die Ziege, die ihn verspielt mit dem Kopf anstieß und freute sich über den Hahn, der seine Hühner schon wichtigtuerisch über den Hof scheuchte. Es schien alles wohlgeordnet, wenn er sich nun für ein paar Tage fortbegeben mußte.
    Als er ins Haus trat, spürte er sofort wieder die beklemmende Stimmung. Lies hatte inzwischen das karge Frühstück bereitet: etwas Brot, Haferbrei und ein Becher lauwarmes Bier. Sie selbst verspürte noch keinen Hunger oder brachte keinen Bissen hinunter, während ihr Mann schweigend seinen Brei löffelte. Beide hingen ihren Gedanken nach.
    Jakob Krinner war Flößermeister und seit vielen Jahren der Zunft der Wolfratshauser Loisachflößer zugehörig. Die Loisach war wie eine kleine Schwester zur wilden Isar und als solche auch nicht ganz so ungebärdig. Der Schöpfer hatte der Isar von Anbeginn größere Hindernisse in Gestalt mächtiger Felsbarrieren in den Weg gelegt, während das Kindbett der Loisach friedfertiger verlief.
    Die Flößer von München nahmen dies gelegentlich zum Anlaß, etwas mitleidig und überheblich auf die »Loisachpatscher« herabzuschauen, obwohl Graf Berthold aus dem mächtigen Geschlecht der Andechser den Wolfratshauser Flößern schon 1159 das Zunftrecht verliehen hatte, als München gerade erst gegründet war und von einer großen Zukunft noch gar nichts wußte.
    Jakob fochten diese Sticheleien nicht an. Er hatte im Laufe der Jahre auch die Isar in ihrer ganzen Länge befahren und kannte daher ihre Tücken und Gefahren nur zu gut. Um so schwerer wogen für ihn die Vorwürfe, die man wenige Wochen zuvor gegen ihn erhoben hatte. Er hatte für den Kaufmann Pütrich eine Ladung Südtiroler Wein übernommen und sich verpflichtet, sie vollständig und unbeschadet in München abzuliefern. Nachdem er das Kaufmannsgut wohlbehalten dem Pfleger der Weinlände übergeben hatte, hatte er sich in die nahe gelegene Wirtsstube begeben, um sich für den Rückmarsch nach Hause zu stärken. Bei seiner Rückkehr zur Lände wurden ihm statt des wohlverdienten Lohnes heftigste Vorwürfe zuteil. In mehreren Fässern hätten etliche Maß Wein gefehlt, und er habe die Ladung sträflich veruntreut. Nun wußte ein jeder, daß die Flößer ein trinkfreudiges Völkchen waren, und der Münchner Rat hatte darob harte Bußen verfügt. So waren für unerlaubtes Trinken sechzig Pfennige Strafe an Stadt oder Stadtoberrichter zu zahlen, und bei leerem Beutel ersatzweise eine Hand oder mindestens ein Ohr zu opfern. Jakob beteuerte verzweifelt, er und sein Floßknecht hätten die Fässer nicht angerührt, doch man glaubte ihm trotz seines guten Leumunds nicht. Er verwies darauf, daß schließlich eine Reihe von Leuten mit dem Wein zu schaffen hätten, so auch Transportleute, Unterkäufel, Weinkoster und
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