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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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worüber Jakob berechtigten Stolz verspürte.
    Um die dritte Stunde des Tages erreichte er das Augustiner-Chorherrenstift Beuerberg. Die Söhne Otto, Eberhard und Konrad von Iringsburg hatten es einst als Sühne für ihren Vater gestiftet, der im Investiturstreit als treuer Gefolgsmann des Kaisers unter den Bannfluch des Papstes gefallen war. Jakob kehrte in der Klosterschenke ein, um sich mit einem Becher Wein zu erfrischen und einen Bissen zu sich zu nehmen. Während des Mahles kam ihm in den Sinn, daß wohl so manches Kloster seine Entstehung einer Sühneleistung verdankte. Hatte nicht auch der Vater des jetzigen Königs nach der Bluttat an seinem Weibe zu Fürstenfeld beim Markte Bruck ein Kloster gestiftet? Er überlegte, ob das Ausmaß der Sühne in einem Verhältnis zur Abscheulichkeit des Verbrechens stand oder nach Rang und Vermögen des Missetäters bemessen wurde. Wahrscheinlich beides, denn sonst käme manch Großer bei leerer Kasse glimpflich davon, während andererseits doch der Fürsten Verfehlungen als besonders verwerflich gelten mußten. Und in gewisser Weise waren sie das auch, denn hatte sie nicht der Allmächtige zu seinen weltlichen Vertretern auf Erden bestimmt und damit zu untadeligem Lebenswandel und besonderem Vorbild verpflichtet? Aber schon David und Salomon waren ja in all ihrer Pracht und Herrlichkeit auch große Sünder vor dem Herrn gewesen, und die Heilige Schrift räumte in weiser Erkenntnis ein: »Der Geist ist zwar willig, doch das Fleisch ist schwach.«
    Jakob fragte sich, was man von einem wie ihm wohl als Sühne verlangen könnte. Zumindest die Forderungen weltlicher Gerichtsbarkeit hatte er ja ums Haar schon am eigenen Leibe erfahren müssen. Nein, er wollte die ihm bemessene Zeit auf Erden lieber rechtschaffen verbringen, wie er es bisher versucht hatte und wie es ihm seiner Meinung nach auch leidlich gelungen war. Freilich, wenn man einem der immer häufiger anzutreffenden Bußprediger ins Netz ging, die das große Strafgericht erflehten und Armageddon ankündigten, dann mochte sich auch der Frömmste noch für einen verdammten Sündenkrüppel halten, der dereinst, anstatt das immerwährende himmlische Mahl zu genießen, nur die von Luzifer vorgeworfenen Knochen abnagen durfte. Mit dieser Vorstellung verschwand auch Jakobs Appetit, und er machte sich wieder auf den Weg.
    Obwohl er schon seit Tagesanbruch auf den Beinen war, verspürte er keinerlei Müdigkeit. Im Gegenteil, die kurze Rast hatte ihn erfrischt, und er fühlte sich leicht und beschwingt. Wahrscheinlich war es der Wein, der die drückende Stimmung des Morgens und dunkle Ahnungen vertrieb. Zumindest wenn das Sprichwort »Sauer macht lustig« zutraf, tat der Wein unzweifelhaft seine Wirkung. Oder sollte es schon die Kraft des Karfunkels sein? Jakob griff mit der Hand nach dem Amulett. Er lächelte, dachte an Lies und fühlte sich merkwürdig sicher. Was sollte ihm schon widerfahren? Er kannte den Weg und die rechten Herbergen, ging zwielichtigen Situationen aus dem Weg, so gut er konnte, und wenn es wirklich einmal sein mußte, dann konnte er schon mal kräftig hinlangen, obwohl er gewiß kein Raufbold war. Zu holen gab es nichts bei ihm. In der Geldkatz, die er um den Bauch trug, waren ein paar Pfennige fürs Trinken und ein Nachtlager bei schwerem Wetter sowie für die Bezahlung der Floßknechte. Die Ladung mußte er einfach nur übernehmen, kein Geld vorstrecken, und seinen Lohn würde er ohnehin erst nach zuverlässiger Ankunft in München bekommen. Der Rucksack enthielt neben ein paar Holzkeilen und einem Seil, einem Mantel und einem trockenen Hemd zum Wechseln kaum Brauchbares. Freilich wurden schon arme Teufel für weniger umgebracht.
    Jakob wollte die gute Stimmung nicht schon wieder in Düsternis verkehren und versuchte daher, sich angenehme Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen oder sich Vorfreuden auszumalen. Wenn er weiter so ausschritt und durch nichts aufgehalten würde, dann könnte er am frühen Nachmittag Benediktbeuern erreichen. Im fernen Dunst konnte er schon die schroffen Felsen und dunklen Tannenwälder der majestätisch aufragenden Wand ausmachen, die zu Ehren des heiligen Benedikt seinen Namen trug. Unweit davon erhob sich das Kloster, eines der ältesten und ehrwürdigsten in diesem Raum. Auch die Mönche lebten nach der Regel des großen Ordensgründers: Ora et labora – bet und arbeite! Sie befolgten dies, indem sie neben den vorgeschriebenen Stundengebeten weite Gebiete des Loisachtales
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