Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
Vom Netzwerk:
erwecken. Lies hatte sich während der Nacht, als sie nicht schlafen konnte, auch kurz vor die Tür gestohlen und etwas Beifuß gepflückt. Zusammen mit ein paar Körnchen Salz hatte sie das Kraut in Jakobs Schuhe gestreut, um ihn vor Ermüdung und bösem Zauber zu schützen. Sie hatte somit alles getan, was in ihrer Macht stand. Nun lag es am Herrgott, das Seine zu tun.
    Jakob dankte ihr gerührt, zog sie noch einmal fest an sich, küßte sie und verließ dann schnellen Schritts das kleine Anwesen in Richtung Loisach. Fast schon außer Hörweite drehte er sich noch einmal um, schwenkte den spitzen Hut und rief ihr übermütig zu. »Ich bring dir Bänder mit aus der Stadt, die schönsten und teuersten!« Er sah noch ihr schwaches Winken; den Schmerz in ihren dunklen Augen mußte er dank der Entfernung nicht mehr mitansehen.
    Dann schritt er weit aus und legte ein gehöriges Tempo vor, denn er hatte einen weiten Weg vor sich.
    Reisen war in jenen Tagen allgemein gefährlich, gleich ob zu Wasser oder auf dem Landweg. Den Flößern aber, zumeist am Fluß aufgewachsen und mit ihm vertraut, erschien der Wasserweg allemal sicherer. Nur stromauf ging es halt nicht anders als auf Schusters Rappen. Manchmal war es möglich, ein Stück des Weges auf einem Pferdefuhrwerk oder Ochsenkarren eines Handelsreisenden, der sich über Gesellschaft freute, zu überbrücken. Doch bei dem schlechten Zustand der Wege und Straßen, insbesondere nach dem Sauwetter der letzten Wochen, war ein flotter Wanderer gewiß nicht langsamer. Ein häufiges und unleidiges Problem, das freilich allen zum Verhängnis werden konnte, war die Begehrlichkeit der Mitmenschen, durchaus nicht immer nur Galgenvögel und Habenichtse. So mancher edle Rittersmann, durch Fehden oder großspurigen Lebensstil ständig abgebrannt, sah im Reisenden nicht den Schutzbefohlenen, wie es das hehre Ritterideal verlangte, sondern die güldene Gans, die er zu rupfen und manchmal gar zu schlachten gedachte. Jakob vermied gerne die öffentlichen Wege und Straßen und folgte den Pfaden entlang des Flusses, mußte aber oft auch durch Felder und lichte Waldstücke die Abkürzung suchen, wenn der Fluß sich gar zu verspielt immer neue Windungen leistete.
    Nach etwa zweistündigem Fußmarsch passierte er die Iringsburg, die Herr Wichnand mit seiner Schwester Kunigunde bewohnte. Der Rittersmann war zu keiner Zeit mit einem Weibe gesegnet und Jakob, der seine Elisabeth hatte, hätte nicht um die Burg mit ihm tauschen wollen. Wenn er es recht bedachte, so hatte er doch viel Glück gehabt in seinem bisherigen Leben. Er stand in der Blüte der Jahre – ob er dreiunddreißig oder fünfunddreißig Lenze zählte, er wußte es selbst nicht so genau – und war bisher gottlob von schweren Schicksalsschlägen und Krankheiten verschont geblieben. Mit seiner tüchtigen Frau hatte er drei prächtige Söhne durch strenge Winter und Hungerszeiten gebracht. Er war nie dem Schlachtenlärm gefolgt, weder freiwillig noch gezwungen, und verlangte auch nicht danach. Sein Vater hatte ihn früh ins Flößerhandwerk eingeführt. Es war ein ehrbares Gewerbe, das zwar keine Reichtümer einbrachte, aber seinen Mann trotz wetter-und krisenbedingter Ausfälle redlich nährte. Zusammen mit der Mitgift seiner Frau hatte es gereicht, einen Flecken Erde beim Markt Wolfratshausen zu erstehen, dessen bescheidene Gaben genügten, um keine allzu große Not aufkommen zu lassen. Und seine Behausung war immerhin besser als die wackeligen und strohgedeckten Hütten der ärmeren Bauersleut und Tagelöhner. Zusammen mit einem befreundeten Zimmerer hatte er dreiseitig behauene Fichten im Blockbau aufeinandergeschichtet zu einem standfesten Geviert, an zwei Seiten etwas überhöht zu einem kleinen Giebel. Auf einem stabilen Gerüst von Firstpfette, Rafen und Querlatten waren Schindeln aus haltbarem Lärchenholz überlappend ausgelegt und mit großen Feldsteinen beschwert. Als Fensteröffnungen dienten schmale, aus dem Balken gestemmte Schlitze, die je nach Witterung mit Fellen verhängt oder ganz abgedichtet wurden. Im Inneren sorgten Zwischenwände aus Flechtwerk und ein eingezogener Dachboden für Raumaufteilung, so daß auch die Lagerung der Feld-und Gartenfrüchte und im Winter die Unterbringung des Viehs möglich waren. Ein offener Herd brachte bescheidene Behaglichkeit, solange er nicht durch beißenden Rauch die Familie an den Rand des Erstickungstodes trieb. Die Behausung war klein, aber ordentlich und sein eigen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher