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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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Sargnägel hinein, während seine eiskalte Stimme das Opfer verfluchte: »Mächte der Finsternis, erhört mein Flehen im Namen Salomons und seiner Heerscharen, seiner Macht und Weisheit. Verflucht sei Ludwig ob seiner frevelhaften Taten. Nehmt ihm Willen und Kraft! Sein Verlangen gebäre ihm Unheil, sein Handeln bringe ihm Tod und Verderben! Amen!«
    »Amen!«
    »Sprich mir nach: Nostrae mortis hora in et nunc…«
    Nachdem sie drei Ave Maria und drei Pater noster rückwärts aufgesagt hatten, war die grausige Zeremonie beendet.
    Der Alte lächelte zufrieden in sich hinein. Nun mochte alles so werden wie früher und falls nicht, so würde ihm zumindest Genugtuung widerfahren. Er wickelte den Wachsmann vorsichtig in ein schwarzes Tuch, rollte das Pergament zusammen und drückte zwei der Kerzen aus. Im flackernden Schein der dritten geleitete er den wankenden Gehilfen aus dem Gewölbe, dessen kalte Mauern nun ein schreckliches Geheimnis bargen. Er entließ ihn in das unheimliche Dunkel der schlafenden Stadt mit der scharf gezischten Warnung: »Kein Wort darüber oder ich werde dafür sorgen, daß du baumelst!«
    Als hätte es dieses freundlichen Rates bedurft. Eher würde der Gehilfe sich die Zunge abbeißen, als sich selbst an den Galgen liefern wollen. Sich angstvoll immer wieder umblickend, hastete er durch die dunklen Gassen, als sei der Leibhaftige schon jetzt hinter ihm her. Es roch nach Schwefel. Ja, ganz sicher. Oder war es doch nur der gewohnte Gestank der Abfälle und Kloaken, den seine überreizten Sinne als die persönliche Duftnote des Höllenfürsten wahrnahmen? Er stolperte, flog über einen Haufen lebender Lumpen, der sich fluchend bewegte, rappelte sich auf, jagte weiter. Herr im Himmel, vergib mir! Ich wollte doch nur… ich mußte… er hat mich gezwungen. Oh, verflucht, wenn nur eine dieser verdammten Schenken noch offen hätte. Gott sei Dank bin ich gleich zu Hause.
    Im gleichen Augenblick, als er mit lähmendem Entsetzen die glühenden Lichter auf dem Holzstoß vor ihm wahrnahm, erfolgte auch schon der Angriff: Ein gräßliches Fauchen… ein Schrei… stechende Schmerzen. Taumelnd fuhr er mit der Hand über die rechte Wange: Blut. Der Hieb war nur um Zentimeter am rechten Auge vorbeigegangen. Die Krallen hatten tiefe Furchen in die Backe gerissen. Er haßte des Nachbarn Katze von jeher. Doch diesmal war sie vom Teufel besessen. Jesus, Maria!… Verfluchtes Biest! … Ich hätte dir schon längst den Hals umdrehen sollen… Herr, gütiger Gott, vergib mir meine Gedanken… ich bin verwirrt… ich steh’ das nicht mehr durch! Gib mir ein Zeichen, wenn du mir den Frevel vergibst!
    »Kruzifix, jetzt fällt mir der Schlüssel in den Dreck!«
    Am ganzen Leib zitternd, von Schmutz und Angstschweiß verklebt, schleppte sich der Geplagte in seine Kammer, der ewigen Verdammnis gewiß. Er stürzte auf den Tonkrug zu, der den Rest des roten Tirolers barg und ließ das Labsal in großen Schlucken durch seine Kehle rinnen, als vermöchte er damit das bevorstehende Höllenfeuer zu löschen. Erst als die Trunkenheit zunahm, kehrte allmählich trügerische Erleichterung ein, die ihn auf sein Lager und in unruhigen Schlaf fallen ließ.
    Die Gerechtigkeit des Herrn aber schlummert nie.
     
     
    »Ist der christ tag an einem eritag, so wirt der wintter groß vnd schneibt, vnd flatig der lencz, vnd der sumer feucht, der augst trukken. Vnd daz chorn wirt lieb. Das vich stirbt, Honick wirt vil. Vnd vil prandes wird in eczleichen landen. Vnd vil vngewitters wirt. Kraut und garten frucht verdirbt. Ols wirt vil. Vnd ettwas betrubnuss geschieht den romern. Vnd die frawen sterben gern an den chinden, vnd die chunig sterben gern in dem jar.«
    (Esdras’ Weissagung)
     

1. Kapitel
     
    Das schwache Licht, das durch die schmale Öffnung in der Holzwand auf den festgestampften Erdboden fiel, kündete bereits die Morgendämmerung an, als Jakob Krinner erwachte. Amseln und Lerchen trällerten schon die wiederholte Strophe ihres Morgenliedes und – wie Jakob deutlich zu vernehmen glaubte – lauter und munterer als noch beim gestrigen Tagesanbruch. Der Dauerregen der letzten Tage, der die Gemüter der Menschen zermürbt und die Natur beinahe ertränkt hatte, schien aufgehört oder zumindest nachgelassen zu haben.
    An Jakobs Rücken schmiegte sich der warme Leib seines jungen Weibes. Ihr Atem ging schnell und heftig. Sie mußte schon wach sein oder schwer träumen. Ihr rechter Arm umfing ihren Mann fest, beinahe verkrampft, als
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