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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann
Autoren: Richard Rötzer
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wieder in Ruhe ihren Geschäften nachgehen zu können.
    Dem ahnungslosen Besucher bot sich so ein friedlich erscheinendes Durcheinander von reger Bautätigkeit und lebhaftem Handel. Doch im verborgenen hegte manch enttäuschter Anhänger Rudolfs noch dumpfen Groll und schmiedete finstere Pläne. Und war auch die Frage der Herrschaft im Reich noch nicht entschieden – eines war gewiß: Es regierte der Haß!
    ***
    Obwohl in der Tiefe des Gewölbes nur schwach vernehmbar, riß der Ruf des Turmwächters von St. Peter die beiden Männer aus ihren Gedanken: den einen aus der Erinnerung über das Unrecht und die Demütigung, die man ihm angetan hatte, den anderen mehr aus Befürchtungen über schreckliche Strafen, falls ihr verbotenes Tun offenkundig und vor einen Richter getragen würde.
    »Laß uns beginnen!«
    Der Ältere entrollte ein Pergament auf der rohen Brettertafel, ergriff die Holzkohle und skizzierte mit festem Strich ein schwarzes Dreieck als Symbol für den Schöpfer. Darüber ein Dreieck, das auf der Spitze stand, Symbol für alles Irdische und damit Unvollkommene, für das Böse und sündhaftes Menschenwerk. Zusammen bildeten sie ein magisches Hexagramm, das Siegel Salomons: Einheit der beiden Prinzipien des Guten und des Bösen, männlich-weibliche Vereinigung und Sinnbild des Kosmos.
    Während des Zeichnens rief der Alte dreimal den Höllenfürsten Baal-Beryth an, ehemals mächtiger Fürst der Cherubim, jetzt Großmeister aller infernalischen Zeremonien, der die Pakte zwischen Sterblichen und Dämonen besiegelte. Schließlich umschrieb er das Siegel noch mit einem magischen Kreis als Symbol für den Ring Salomons, mit dem dieser die Dämonen beherrscht hatte. An drei Stellen kritzelte er die Buchstabenfolge AGLA und murmelte jedesmal dazu: »Ata Gibor Leolam Adonai«, was bedeutete: »Deine Macht währt ewig, Herr.« Den oberen drei Spitzen des Hexagramms, Zeichen der Dreieinigkeit, ordnete er die drei Kerzen zu, während er die Blutsteine auf den unteren drei Spitzen verteilte.
    Der Gehilfe hielt nun mit zitternden Händen die geweihte Osterkerze über die Flammen, damit das Wachs weich und formbar wurde. Dabei beobachtete er ängstlich die tanzenden Schatten an den Wänden ringsum, die ihm einen höllischen Reigen feixender Dämonen vorgaukelten. Die Schweißperlen auf seiner Stirn flossen zusammen, bildeten kleine salzige Rinnsale und vereinigten sich zu Strömen kalten Schweißes, Sturzbächen der Angst, die sich über Gesicht und Hals ergossen. Er war erleichtert, als ihm sein Gegenüber die Kerze abnahm, sie auf das Hexagramm legte und in frevlerischer Absicht das Wachs zu kneten und zu formen begann. Die ungelenken Finger bildeten eine grobe Puppe, einen Atzmann als Abbild dessen, dem der Schaden zugefügt werden sollte. Es kam nicht darauf an, ein wahres Ebenbild zu schaffen. Entscheidend war vielmehr, daß die Figur durch Zauberspruch und Taufe in eine sympathetische Beziehung trat zu demjenigen, den sie darstellen sollte. So vermochte man Macht über ihn zu gewinnen, sei es, um Liebesglut zu entfachen, sei es, um Tod und Verderben zu bringen.
    »Halt die Kröte bereit!«
    Die Aufforderung jagte erneut kalte Schauer über den Rücken des unfreiwilligen Zauberlehrlings, während er das Säckchen öffnete, die schleimige Kröte packte und das spitze Messer zückte.
    Unter unverständlichem Gemurmel, das sowohl Psalmen als auch Flüche beinhalten konnte, bespuckte der Herr des Unternehmens die Wachsfigur dreimal und entleerte die Phiole mit Weihwasser und Urin über ihr.
    »Nun du!«
    Mit erstaunlicher Gewandtheit, als hätte er dies schon wiederholt praktiziert, schlitzte der Gehilfe mit dem Dolch Kehle und Bauch der Kröte auf, hielt die verendende Kreatur über den Atzmann und drückte der Kröte Blut darüber aus.
    »Ich taufe dich im Namen der Dreieinigkeit und Luzifers auf den Namen Ludwig!«
    Zweifellos wäre Menschenblut weit wirkungsvoller gewesen, um Dämonen herbeizulocken, doch auch Krötenblut war dem Zwecke dienlich. Kaum hatte der Gehilfe die Formel beendet, warf er das tote Tier angewidert ins Kellereck, als habe ihm ein leibhaftiger Dämon die Hand versengt. Am liebsten hätte er auch fluchtartig das Gewölbe verlassen, doch der bohrende Blick seines Gegenübers ließ ihn erstarren.
    »Gib mir die Nägel!«
    Wie in Trance und über den imaginären Feind triumphierend, ritzte die knochige Hand des Hageren ein großes L in den wächsernen Körper und rammte anschließend die drei
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