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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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Aber sie gab allen Männern das Gefühl, dass es theoretisch möglich wäre. Manche ihrer Röcke hatten exakt diese edelnuttige Länge, die man eigentlich nicht mehr durchgehen lassen konnte, waren aber gerade noch zu lang, um ihr Billigkeit vorwerfen zu können.
Die Bindinger war wie Carla Bruni: außen Bambi, innen Stalin-Orgel. Aber Attila wusste: Sie war die Pappel, zu schnell gewachsen, um großen Stürmen zu trotzen. Eines Tages würde sie einfach umfallen.
    Seit er den Visualisierungskurs gemacht hatte, versuchte er, in Bildern zu denken und zu sprechen. Verständlichkeit war einer der wesentlichen Schlüssel zum Erfolg. Das hatten mehrere amerikanische Studien ergeben, die sein Executive Newsletter ausdauernd zitierte. Back to basic. Weibliches Schwanken gegen männliche Stabilität, das war gut. Attila, die nachhaltige Marathon-Eiche, die im Sturm noch wächst statt knickt.
    Aus Mythosgründen hatte er eben schon eine Mail an Jaspers geschrieben: »Bitte call vor 10h-mtg«. Jaspers würde, wenn er um halb sieben seinen Blackberry anmachte, auf die Sendezeit starren und staunen: »Mann, der Attila, schon um fünf die ersten Mails. Wahrscheinlich läuft er schon.« Jaspers vertrat ihn heute morgen im Meeting; und er musste ihn noch briefen, wie er mit der Bindinger umzugehen hätte, auch wenn die Führungskräfte an ihrem D-Day dazu angehalten waren, sich nicht um die Arbeit zu kümmern: keine Anwesenheit, keine Projektarbeit, keine Anrufe, keine Mails. Aber Attila wusste, dass Jaspers seiner Sekretärin von der frühen Mail erzählen würde. Damit wäre die Info rum im Haus, und er hätte einen Felsbrocken mehr in seiner Nachhaltigkeitsmauer ruhen. Die Mauer war ein gutes Bild, fast so gut wie die Eiche. Nachhaltigkeit, das musste der Kern seines Mythos’ werden. Alles, was er tat, musste nachhaltig sein, selbst das Feuern. »Nachhaltigkeit« hatte »Innovation« abgelöst, als Leitbegriff, der die nächsten Jahre jede Debatte dominieren würde, das hatten mehrere Umfragen unter Führungskräften ergeben.
    Wer vorne bleiben wollte, musste einen empathischen Nachhaltigkeits-Mythos
um sich herum aufbauen. Dazu gehörte leider auch eine Familie. Lange hatte Attila sich dagegen gesträubt, weil er Kinder ziemlich lästig fand. Doch inzwischen war klar, dass Kinder Bedingung waren für einen Posten an der Spitze des Landes: Frauen, Türken, Schwule, Alleinstehende, die durften überall mitspielen. Nur ganz oben nicht. Im Olymp regiert der deutsche Familienvater. Für diese Erkenntnis brauchte man keine Umfragen. Nun musste Camille nur noch schwanger werden. Auch deswegen ging er heute zum Arzt. Vielleicht lag es ja doch an ihm. Obwohl: Das konnte gar nicht sein. Er brauchte nur zwei, drei Gläser Rotwein, vielleicht noch ein paar Porno-Splitter aus dem Internet, dann gingen seine Phantasien mit ihm durch und er kam, meistens. Garantiert war Camille das Problem.
    »Einmal Arizona Green Tea und die FTD «, sagte Attila.
    Der Tankstellen-Tumb guckte verständnislos. »Was war das zweite?«
    » Financial Times Deutschland «, erklärte Attila im Tonfall eines Sonderschullehrers.
    »Zeitungen sind noch nicht da; kommen erst um sechs«, sagte der Tankstellen-Trottel, »nur die von gestern.« Attila dachte nach, getreu jenem Options-Modell, das er seit ein paar Jahren mit großem Erfolg anwandte. Die Strategie: Jede Entscheidung immer auf zwei klare Wege reduzieren und möglichst noch visualisieren. Dann spontan den Bauch entscheiden lassen.
    Option eins: Mit der Zeitung von gestern auf eine Bank im Park setzen, ausgiebig lesen, etwas dösen, dann eine halbe Stunde richtig schnell laufen und einigermaßen fertig nach Hause kommen, wo Camille ihm hoffentlich schon sein Eiweiß-Omelett bereitet hatte.
    Option zwei: Stöpsel ins Ohr und laufen, zwei Stunden
lang. Das Hörbuch »Berlin Alexanderplatz« lief bestimmt noch zwei Stunden. Und Attila brauchte Berlin-Nachhilfe. Wenn er bei Kunden eingeladen war, musste er halbwegs kluge Bemerkungen zur Stadt machen. Sicherheit in historischen Fragen war absolute Pflicht für einen Partner bei Wesley . Die paar Hörbücher von Alfred Kerr waren leider vergriffen. Also »Berlin Alexanderplatz«. Kannte er noch aus dem Fernsehen von früher. Franz Biebermann, oder so ähnlich. Biebermann und die Brandstifter. War das witzig? Attila hatte keinerlei Gespür für Kulturwitze. Auch so ein Problem.
    In Berlin war Kultur extrem wichtig. Klar, wo keine Wirtschaft war, die echtes Geld
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