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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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Mann zum Mythos zu werden war auch in unserer Zeit noch ziemlich anspruchsvoll. Früher gab es heroische Taten, heute nur Karikaturen wie Boxer oder Luca Toni. Aber wo war ein echtes Vorbild, einer, der was in der Birne hatte, nicht schwul war, weder Proll noch Poser noch Weichei? Peter Kloeppel vielleicht.
    Es gab allerdings eine Abkürzung, eine Art Mythen-Turbo. Man musste Symbole schaffen, mythologische Akte, gleichsam Rituale vollziehen, über die auf jedem Flur getuschelt wurde. »Das ist doch der Typ, der den Marathon schneller läuft als die Bindinger den halben …« - das war der Text, den er im ewigen Flurfunk von Wesley zu platzieren gedachte.
    Diese Mythos-Korrektur war dringend nötig. Attila hatte lange über seinen eigenen Ruf nachgedacht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er etwas zu eindimensional wahrgenommen wurde. Er war als Chef gefürchtet, weil er das Maximum aus seinen Leuten herausprügelte. Wer ihm nicht bedingungslos folgte, der flog. Wer am Wochenende nicht ans Handy ging, flog. Wer zweimal unter seinen Vorgaben blieb, flog.
    Erst der Kunde, aber vorher noch der Chef, so lautete seine Parole. Wer ihm folgte, so wie Jaspers und Röttger, wurde großzügig belohnt. Alle anderen wurden bestraft, immer hart, manchmal ungerecht. Ihn umgab der Mythos der Gnadenlosigkeit.

    Leider war nicht nur bei Kunden, sondern auch bei Wesley selbst seit Neuestem der Wert »Empathie« groß im Kommen, menschliche Wärme und derlei Tralala. Attila musste seinem Profil also schleunigst eine soziale Komponente hinzufügen, die aber nicht weicheiig aussehen durfte, Kultur und Kunst waren gut. Oder eben Sport, aber mit anderen gemeinsam. Er hatte sich entschieden, seinen Schwerpunkt aufs Laufen zu legen. Eine Image-Analyse aus Großbritannien hatte ergeben, dass Läufer durch alle gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen akzeptiert waren, Marathon-Läufer sogar respektiert. Und vierzigtausend Starter beim Berlin-Marathon, das war ja wohl genug gemeinsam mit anderen.
    Natürlich würde diese Empathie-Phase vorübergehen. Angst war seit Menschengedenken der beste Motor und würde es immer bleiben. Kuschelpädagogik mochte im Dritte-Welt-Laden funktionieren, aber nicht in einer Strategieberatung, die ein klares Ziel hatte: die Nummer eins zu werden in Deutschland. Dafür brauchte er Winner. Und keine sanftäugigen Schwachköpfe.
    »Wir bei Wesley haben die höchsten Ansprüche, die es in unserer Branche gibt«, das war sein stets gleicher Auftaktsatz im Kündigungsgespräch, und meistens nickten die Delinquenten, weil sie glaubten, sie könnten diese Ansprüche erfüllen. Von wegen. Noch während sie nickten, schlug er ihnen das Henkersbeil ins Genick. »Leider genügen Sie diesen Ansprüchen in keinster Weise.«
    Attila liebte diesen Moment, wenn ihn der Gordon-Gekko-Flash durchfuhr.Allmacht. »When You’renot inside, You’re outside« - ein großartiger Satz. O-Ton Gekko.
    Der Delinquent brauchte einen Moment, um überhaupt zu kapieren, was los war. Manche schluckten, andere erstarrten, einige verloren den Kampf gegen die Tränen. Gut
so. Jede Träne nahm er als Einzahlung auf sein Mythen-Konto. Attila griff sich dann meist ein Stück Papier von seinem Schreibtisch und versenkte sich darin. Der Delinquent verstand, erhob sich wortlos und ging.
    »Jede Träne nahm er als Einzahlung auf sein Mythen-Konto.«
    Nur die Bindinger war vor vier Jahren einfach sitzen geblieben. Sie hatte kühl um Erläuterung der Gründe gebeten. Dann hatte sie erklärt, dass sie demnächst eine Stelle in der Zentrale in München antreten werde. Das hatte sie hinter Attilas Rücken eingefädelt. Bitch. In nur vier Jahren war sie zum Senior Partner aufgestiegen. Erst hatte sie ihn ausgebremst, dann überholt, und jetzt demonstrierte sie kalt ihre Macht, zum Beispiel in den Videokonferenzen jeden Morgen. Sie war die einzige Frau. Die Männer in der Runde lachten über jeden ihrer Scherze, aus Angst vor ihr. Der Bindinger-Mythos war Furcht erregend: Kleopatra. Katharina die Große. Angela Merkel. Und die Kerle so verunsichert, dass sie albern kicherten. Nur mit Leipzig und beim Marathon war die Bindinger zu kriegen. Ihrem Mythos vom schnellen gnadenlosen Aufstieg würde er Ausdauer entgegensetzen, Beharrlichkeit, Disziplin. Sie würde eines Tages einen Fehler machen oder einfach gehen.
    Wenn eine Frau so schnell so gerade Karriere macht, dann war da was faul. Hochgebumst hatte sie sich allerdings nicht, das hätte er erfahren.
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