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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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Twitter hatte die Sendung schon dreiundzwanzig Follower. Das war gut für den Anfang. Wenn jeder Follower nur einen weiteren Follower pro Woche animierte, war er in vierzehn Tagen schon fast bei hundert. Alle großen Geschäftsmodelle verbreiten sich heute schneeballartig, am Anfang langsam, aber dann rasend schnell.
    Trotz des Ruhms würde Jochen weiter in seiner Techi-Bude wohnen, mit Bretti zusammen. Gemeinsam waren sie schon mehrfach ganz kurz vor dem Durchbruch gewesen, geschäftlich, bei Frauen, eigentlich überall. Jetzt endlich würde es so weit sein. Die Prominenz und die Werbeverträge würden ihm nichts anhaben, charakterlich. Er bereitete sich seit Jahren innerlich vor auf diesen Moment. Er würde weiter die Stehplatzkarte für Hertha kaufen, sich allerdings einen schnelleren Rechner zulegen. Er war es so satt, auch auf den pixeligsten Porno ewig warten zu müssen.
    Und er würde sich einen Personal Coach leisten, der ihn fit machte. Brad Pitt sah nur so aus, weil er seinen eigenen Trainer hatte. Jochen nahm sich seit Jahren vor, Sport zu machen, erst mal was Leichtes wie Laufen. Er hatte sogar schon ein Buch mit Anweisungen gekauft. Aber er kam
einfach nicht dazu. Immerhin hatte er schon von Spezi auf Cola Zero umgestellt, wenn auch ohne sichtbaren Erfolg. Selbst seine weitesten T-Shirts konnten die Fleischwurst nicht verbergen, die sich in Hüfthöhe um seinen Körper gelegt hatte. Dafür fühlte sich sein Speiseröhrenende von dem vielen Cola-Süßstoff jetzt an wie der Feudel in einer usbekischen Autobahntoilette, schlaff und schmutzig.
    »Wir Männer sind in Gefahr. Das war die Kernbotschaft, sein Markenzeichen, das immer wieder penetriert werden musste.«
    Den Job an der Tanke würde er jedenfalls behalten, auch wenn er die Kohle dann nicht mehr brauchte. »Das ist Volksnähe: Star-Moderator schuftet für Hungerlohn«, würde Bild auf Seite eins melden und ein unscharfes Handy-Foto zeigen. Jochen würde Bild dafür verklagen. Sein Job sei Privatsphäre, würden seine Anwälte argumentieren. Das war natürlich Marketing. Nach dem Streit mit Bild würden die Leute zur Tanke pilgern, um ihrem bescheidenen Lieblingsmoderator bei der Arbeit zuzuschauen. Jochen würde Außenlautsprecher anbringen. Und wer für über dreißig Euro tankte, bekam eine Autogrammkarte.
    Eigentlich war Jochen fertig mit Bild . Das Mistblatt hatte seine Sendung nie angekündigt im Berlin-Teil, obwohl er eine geniale Pressemitteilung an die Redaktion geschickt hatte. » Beyond Cool - für Männer, die noch leben«, lautete die Überschrift. Das war ja wohl ein Knaller, gerade für eine Bauarbeiter-Zeitung. »Die noch leben« - das hieß ja: Einige waren schon tot. Und wer die Männer getötet hatte,
war auch klar. Wir Männer sind in Gefahr. Das war die Kernbotschaft, sein Markenzeichen, das immer wieder penetriert werden musste.
    »Man kann auch Kluges penetrieren« - noch so ein tückisch eleganter Spruch, der in seinem Buch stand. Seine Rache an den Frauen zeichnete sich durch gehobene Perfidie aus. In der nächsten Sendung würde er aber erst mal den Tankstellen-Satz fallen lassen, ganz nebenbei, als sprudelten solche Gedanken einfach aus ihm heraus. Die Hörer würden jubeln oder jaulen oder voller Andacht schweigen.
    Beyond Cool war bereits mit der dritten Folge auf dem Weg zum Kult. »Du musst Männer zum Weinen bringen, erst recht morgens um drei«, hatte der Programmchef gesagt, einer, den sie beim richtigen Rundfunk frühpensioniert hatten und der jetzt ehrenamtlich beim Offenen Kanal arbeitete. Bretti kannte ihn noch von früher und hatte ein Gespräch eingefädelt.
    Der Offene Kanal war nicht gerade das Quoten-Paradies, schon gar nicht morgens um drei mit einem Laienprediger als Vorlauf, der sich auf der Multikulti-Schiene ins Programm schlawienert hatte. Religiöse Minderheit geht immer. »Viele Minderheiten sind auch die Mehrheit«, hatte ihm der Programmchef die Philosophie erklärt. »Männer sind ja eine Minderheit«, hatte Jochen geantwortet. Sie hatten herzlich gelacht.
    Jochens Sendeplatz war eigentlich der schwulen Community vorbehalten gewesen, aber es hatte sich gerade niemand gefunden, der schwules Radio machen wollte. Jochens Radio für Männer war ja thematisch auch nicht so weit weg. Und schon war Beyond Cool im Berliner Radio, wenn auch auf einer Frequenz, die sich noch nicht überall herumgesprochen hatte. Dennoch konnte Jochen sein Glück kaum fassen. So nah war er einem Traumjob noch nie gewesen:
DJ
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