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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann
Autoren: Achim Achilles
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befahl, einer war so besoffen, dass er es nicht mal zu seiner Frau nach Hause schaffte, und einer würde jetzt noch den Affen machen, nur um eine Frau zum Sex zu bewegen. Nur er, Jochen, hatte bereits die nächste Stufe der Erkenntnis erreicht. Er hatte sich von Frauen so gut wie losgesagt. Frauen brauchten ihn nicht, dann brauchte er sie eben auch nicht.
    Die moderne Frau ernährte sich ohnehin selbst, wusste den Akkuschrauber zu führen, ließ in Reagenzgläsern befruchten und delegierte die Kinder hinterher einfach weg. Der Mann war nur mehr da, um herumkommandiert zu werden,
falls er nicht den Vorschriften gehorchte, die Frauen ihm machten. Zu Recht hatten die Emanzen beklagt, dass vorwiegend Männer in den letzten Jahrtausenden die Regeln bestimmt hatten. Jetzt bestimmten Frauen. Und sehnten sich gleichzeitig nach echten Kerlen. Aber die durften weder riechen, schreien und erst recht keine Widerworte geben. Bei Bedarf mussten sie ein Stück schwellkörperhaltiges Fleisch hinhalten. Und manchmal nicht mal das. Was blieb, war die männliche Identitätskrise: Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Was soll das alles?
    »Die moderne Frau ernährte sich ohnehin selbst, wusste den Akkuschrauber zu führen, ließ in Reagenzgläsern befruchten und delegierte die Kinder hinterher einfach weg.«
    Jochen hatte sich für den Guerillakampf im Piratensender entschieden, der Cabrio-Heini für das klassische Auslaufmodell, der Kinderwagen-Typ für den Rollentausch. Der Jogger hatte wahrscheinlich eine zickige blonde Zuckerpuppe zu Hause, der besoffene Bausparer einen Hausdrachen mit Kontrollmanie. Sie alle wollten ihr eigenes Leben zurückerobern, und wenn es nur für ein paar Minuten am Grill war, wenn mal keine matschigen Zucchini-Scheiben auf beölter Folie lagen. Fünf Männer, eine Mission: Sie starteten gemeinsam in einen neuen Tag, in dem sie sich vielleicht mal nicht verlieren würden.
    Jochen spürte der Erhabenheit dieses Moments nach, den die anderen vier wahrscheinlich gar nicht empfanden,
der besoffene Bausparer schon gar nicht. Wie es der Zufall wollte, der in erhabenen Momenten immer gnädig ist, lief der perfekte Soundtrack. Jochen starrte auf seinen iPod , der in der kleinen Abspielanlage steckte. Er war überzeugt, dass dieses Gerät über einen geheimen Stimmungssensor verfügte. Der iPod wusste fast immer, welcher Titel gerade gefragt war. Musik war eigentlich verboten im Kassenbereich.Aber Pink Floyd war ja keine Musik, sondern Gottesdienst. »Wish You were here« konnte man durchlaufen lassen, immer wieder. Welche Platte kann man denn heute hören, ohne das ewige Gedrehe und Gespringe. Außerdem war Pink Floyd der perfekte Kundentest. Kerle, die anerkennend nickten oder den Titel sogar kannten, die waren fast immer okay. Denen könnte er eigentlich gleich einen Flyer in die Hand drücken, besser noch eine Visitenkarte, auf teurem Karton:
    BEYOND COOL.
    DIENSTAG AUF 97,5 FM.
UM DREI UHR MORGENS.
FÜR MÄNNER, DIE NOCH LEBEN.
MIT JOCHEN HEINE.
    Mehr nicht. Wie geil war das denn. Würde er gleich nach der Schicht zu Hause am Rechner fertig machen.

    Der Cabrio-Heini kam zur Kasse, dahinter fummelte der Jogger immer noch an seinem Blackberry herum. Der Vater beugte sich über den Kinderwagen. Offenbar war das Baby wach geworden. Er winkte kurz und schuckelte los. Auf dem Rückweg würde er bestimmt noch mal reinschauen.
    »Fünf Männer, eine Mission: Sie starteten gemeinsam in einen neuen Tag, in dem sie sich vielleicht mal nicht verlieren würden.«
    Der Cabrio-Heini stand jetzt vor der Scheibe. Seine Haare sahen eine Spur zu ölig aus, so als ob er eine dringend nötige Wäsche mit viel Gel noch einmal notdürftig hinausgezögert hätte. Typischer Disco-Trottel. Wahrscheinlich schon lange auf der Pirsch. Er hatte gar nicht getankt. Jede Wette: Er würde keine Reaktion zeigen bei Pink Floyd . Mal abgesehen davon, dass das Geklirre am Anfang von »Welcome to the machine« sowieso nur für Experten zu identifizieren war.
    Jochen drückte die Lippen fest auf das kalte Metall. Das Drahtgeflecht schmeckte nach Nikotin und alter Spucke, die nicht seine war. Egal. Jeder gute Radiomoderator wusste: Das Mikrofon muss wie eine große Kugel Eis zwischen den Lippen sitzen. Keine Hemmung, voller Kontakt. Jochen holte tief Luft und konzentrierte sich auf seinen Rachen. Eine perfekte Stimme entstand immer im Rachen.
    Jochen blickte kurz auf und taxierte den Cabrio-Heini. Die Sonnenbrille im Haar sah auch ziemlich affig
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