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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein
Autoren: Fred Vargas
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wußten.«
    »Ja.«
    »Aber was Sie nicht wollten – denn Sie haben mir ja Bescheid gegeben. Seit Samstagabend also hielt ich mich im Keller des gegenüberliegenden Wohnhauses versteckt. Aus dem Kellerfenster hatte ich eine hervorragende Sicht auf die Eingangstür. Ich dachte mir, daß der Richter nur nachts zuschlagen würde, vielleicht nach elf Uhr. Er liebt Symbole.«
    »Warum sind Sie allein gekommen?«
    »Aus demselben Grund wie Sie. Kein Blutbad. Damit hatte ich unrecht, oder ich habe mich überschätzt. Wir hätten ihn fassen können.«
    »Nein. Fulgence halten nicht mal sechs Leute auf.«
    »Retancourt hätte ihn gestoppt.«
    »Genau. Sie wäre drauflosgestürmt, und er hätte sie getötet.«
    »Er hatte keine Waffe.«
    »Sein Stock. Es ist ein Dolch-Stock. Das Drittel eines Dreizacks. Er hätte sie aufgespießt.«
    »Möglich«, sagte Danglard und fuhr sich übers Kinn.
    Am Morgen hatte Adamsberg ihm Ginettes Salbe vermacht, und der Kiefer des Capitaine glänzte gelb.
    »Nein, sicher. Sie müssen nichts bereuen«, wiederholte Adamsberg.
    »Um fünf Uhr morgens verließ ich das Versteck und bezog es am selben Abend aufs neue. Der Richter erschien um elf Uhr dreißig. Ganz entspannt und so groß, so aufrecht, so alt, daß ich ihn nicht verwechseln konnte. Ich stellte mich mit dem Mikrofon hinter Ihre Tür. Ich habe sein Geständnis im Kasten.«
    »Und auch seine Worte, mit denen er das Verbrechen auf dem Pfad leugnet.«
    »Das auch. Er sprach lauter, als er sagte: ›Ich folge niemandem, Adamsberg. Ich komme zuvor.‹ Den Moment habe ich genutzt, um die Tür zu öffnen.«
    »Und die Maus zu retten. Ich danke Ihnen, Danglard.«
    »Sie hatten mich angerufen. Das ist mein Job.«
    »Genau, wie mich der kanadischen Justiz zu übergeben. Das ist auch Ihr Job. Denn wir fahren doch in Richtung Roissy, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Wo mich ein verdammter Coch aus Quebec erwartet. Ist es so, Danglard?«
    »So ist es.«
    Adamsberg ließ sich in den Sitz zurückfallen und schloß die Augen.
    »Fahren Sie langsam, Capitaine, bei diesem Nebel.«

62
     
    Danglard bugsierte Adamsberg in eines der zahlreichen Cafés auf dem Flughafen und wählte einen abseits gelegenen Tisch. Adamsberg setzte sich geistesabwesend hin und sah mit leerem Blick auf die gestutzte Bommel, die wie ein heiteres und unpassendes Gebilde auf dem Kopf seines Stellvertreters saß. Retancourt hätte ihn mit beiden Armen umfaßt, sie hätte ihn wie einen Ball über die Grenzen geworfen und in die Flucht geschleudert. Noch war es möglich, denn Danglard war so feinfühlig gewesen, ihm keine Handschellen anzulegen. Noch konnte er aufspringen und verschwinden, der Capitaine wäre nie in der Lage, ihn im Lauf einzuholen. Aber die Vorstellung, wie sein bewaffneter Arm auf Noëlla einstach, raubte ihm jeden Elan. Wozu sollte er fliehen, wenn er nicht mehr herumlaufen könnte? Wenn die Angst, er könnte noch einmal zuschlagen und wieder schwankend neben einer Leiche am Boden stehen, ihn erstarren ließe? Ebensogut konnte er hier enden, in den Händen Danglards, der traurig einen Café-Cognac trank. Hunderte Reisende zogen an seinem Blick vorüber, flogen los oder kamen an, frei, mit einem Gewissen, so rein wie ein Stapel sauberer Wäsche. Während sein Gewissen ihn wie ein steifer, blutiger Lappen anekelte.
    Danglard hob plötzlich in einer Willkommensgeste den Arm, doch Adamsberg machte keine Anstalten, sich zu rühren. Die Siegermiene des Surintendant war das letzte, was er jetzt sehen wollte. Zwei große Hände schlossen sich um seine Schultern.
    »Hatt ’ch da nicht gesagt, daß wir diesen Verdammten schnappen würden?« hörte er.
    Adamsberg drehte sich um und erblickte das Gesicht des Sergent Fernand Sanscartier. Er stand auf und drückte instinktiv seinen Arm. Großer Gott, warum hatte Laliberté ausgerechnet Sanscartier dazu bestimmen müssen, ihn abzuholen?
    »Ausgerechnet du mußtest für den Auftrag herhalten?« fragte Adamsberg betrübt.
    »Ich habe nur die Anweisungen befolgt«, antwortete Sanscartier, ohne dabei sein Guter-Mensch-Lächeln aufzugeben. »Und wir haben viel zu beschwatzen«, fügte er hinzu und setzte sich ihm gegenüber.
    Herzlich drückte er Danglards Hand.
    »Guter Job, Capitaine. Und nix für ungut. Criss, es ist warm bei euch«, sagte er und zog seine Wattejacke aus.
    »Hier ist die Kopie der Akte«, fügte er hinzu und zog sie aus seiner Reisetasche. »Und hier die Probe.«
    Er schüttelte eine kleine Schachtel vor Danglards Augen,
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