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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Barry Eisler
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niedrigen, pastellfarbenen Säulengänge der Ladenfronten, die ganz im portugiesischen Stil gehalten waren und einen Gegensatz zu den asiatischen Klängen und Gerüchen bildeten. Ich folgte ihm in etwa zehn Metern Abstand. Hongkong-Pop schallte lautstark aus einem Geschäft. Die Luft roch nach gebratenem Schweinefleisch und Reis. Um uns herum schlenderten große Gruppen von Einkaufsbummlern ziellos umher, plauderten, lachten und genossen die zwanglose Geselligkeit des Abends.
    Wir verließen den Senado und gelangten auf ruhigere Straßen. Karate sah sich die Verkaufsstände der Straßenhändler an – Obst, Wäsche, traditionelle Thai-Trachten, drei Stück für einen Hongkong-Dollar –, kaufte aber nichts. Er schien sich in Richtung der Ruinas de São Paulo zu bewegen, dem Wahrzeichen von Macau, eine ehemals prächtige portugiesische Kirche, die im Laufe der Jahrhunderte wieder und wieder ein Opfer der Flammen geworden war und von der heute nur noch eine traurige Fassade geblieben ist. Ein gespenstischer Überrest, der nachts angestrahlt wird und wie ein ausgebleichtes Gerippe ganz oben am Ende einer steilen Treppe steht. Düster, in zerstörter Erhabenheit, thront die Ruine über der Stadt, die zu ihren Füßen wie Unkraut wuchert.
    Allmählich gerieten wir in Wohngebiete. Wir kamen an breiten, offenen Hauseingängen vorbei. Ich überprüfte sie automatisch, aber sie stellten keine Gefahr dar, boten nur dann und wann häusliche Einblicke: vier ältere Frauen, ganz auf ein Mahjong-Spiel konzentriert, ein paar Jungen vor dem Fernseher, eine Familie beim Abendessen. Wir passierten einen alten Schrein, dessen rote Farbe in der tropischen Feuchtigkeit abblätterte. Der Weihrauch aus der Brennschale in seinem Innenraum erfüllte meine Sinne mit Erinnerungen aus meiner Kindheit.
    Karate erreichte das Ende der Straße und bog rechts ab. In diesem Wirrwarr von düsteren Nischen und Gässchen würde ich ihn leicht verlieren, wenn unser Abstand zu groß wurde, und ich beschleunigte mein Tempo, um ihm auf den Fersen zu bleiben. Ich bog um dieselbe Ecke, um die er einen Moment zuvor verschwunden war – und wäre fast in ihn hineingerannt.
    Er war um die Ecke gegangen und stehen geblieben. Ein klassischer Trick und kaum zu unterlaufen, wenn man allein arbeitet. Kein Wunder, dass er so locker gewirkt hatte: Die Tunnelfinte war ein fingierter Höhepunkt gewesen, und ich war drauf reingefallen. Scheiße.
    Das Adrenalin peitschte durch meinen Körper. Die Geräusche wurden ausgeblendet. Die Bewegungen verlangsamten sich.
    Wir sahen uns in die Augen, und eine erstarrte Sekunde lang standen wir völlig reglos dar. Ich sah, wie seine Stirn sich in Falten legte. Den Kerl habe ich schon irgendwo gesehen, hörte ich ihn förmlich denken. Im Hotel.
    Er verlagerte das Gewicht nach hinten und ging in Abwehrhaltung. Seine linke Hand zog sein Sakko nach vorn. Die rechte Hand griff darunter.
    Eine Waffe, keine Frage. Verdammt.
    Ich sprang vor und packte ihn unten am rechten Ärmel, zog ihn vom Oberkörper weg, damit er das, was er da unter Jacke trug, nicht zu fassen bekam. Mit der anderen Hand erwischte ich sein linkes Revers und riss es hoch unter sein Kinn. Seine Reaktion war gut: Mit dem linken Bein machte er einen Schritt nach hinten, um das Gleichgewicht wiederzugewinnen und ausreichend Abstand herzustellen, damit er etwas aus seiner Karate-Trickkiste einsetzen konnte. Aber die Gelegenheit wollte ich ihm nicht geben. Mit dem Fuß erwischte ich seine rechte Ferse und schlug ihm gleichzeitig meine Faust gegen die Kehle, ein Kouchigari, ein einfacher Judowurf, durch den er nach hinten gestoßen wurde. Er verlor das Gleichgewicht, und da sein Fuß blockiert war, kippte er glatt nach hinten, während sein linker Arm nutzlos durch die Luft wedelte. Seinen rechten Arm hielt ich weiterhin fest und drehte mich im Fallen gegen den Uhrzeigersinn, so dass mein rechter Ellbogen genau über seinem Zwerchfell lag und ihn hart traf, als wir auf den Bürgersteig prallten.
    Ich warf mich auf seine rechte Seite, hob die rechte Hand hoch in die Luft und zielte einen Hammerfaustschlag auf seine Nase. Aber seine Reflexe waren gut, trotz des heftigen Aufpralls auf dem Boden. Er drehte den Kopf weg und wehrte den Hieb mit der linken Hand ab.
    Dennoch, auf dem Boden war er nicht gerade in seinem Element, und er machte prompt einen Fehler. Anstatt auf die unmittelbare Gefahr zu reagieren – meine bessere Position und die Möglichkeit zum Angriff –, versuchte
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