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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat
Autoren: Barry Eisler
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Oriental Suite meldete sich niemand. Ich versuchte es erneut und ließ mich diesmal mit der Macau Suite verbinden.
    »Hallo«, meldete sich eine Männerstimme.
    »Hallo, hier ist die Rezeption«, sagte ich und legte mir einen ganz passablen chinesischen Akzent zu. »Gibt es irgendetwas, das wir für Mr. Belghazis Wohlbefinden noch tun können?«
    »Nein, alles in Ordnung«, sagte die Stimme.
    »Sehr schön«, sagte ich. »Angenehmen Aufenthalt.«
     
    Während Keiko an diesem Abend ausging, saß ich im Hotelzimmer und belauschte Karate über Ohrhörer. Er war in seinem Zimmer und sah fern, dem Klang nach die internationale Ausgabe von CNN. Schlafen oder weggehen: Da würde ich mich ganz nach ihm richten. Ich hatte mir schon eine anthrazitfarbene Wollhose, einen marineblauen Pullover und bequeme Schuhe mit Gummisohlen angezogen, für den Fall, dass er sich für einen Abend in der Stadt entschied.
    Ich starrte nach draußen auf die wuchtigen Kräne und riesigen Schaufelbagger, mit denen Macau noch mehr Brücken hinüber zur chinesischen Provinz Guangdong baute, deren niedrige Berge in wenigen Kilometern Entfernung kauerten. Die Maschinen erhoben sich aus dem Hafen wie mythische Wesen, die aus ihrem Meeresbett aufgescheucht worden waren und unförmig in Richtung Land taumelten, aber vom Schlamm in der Tiefe festgehalten wurden.
    Die Kräne erinnerten mich an Japan, wo ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht hatte und wo es ein Nationalsport ist, dem Meer Land abzuringen, um dann überflüssige Brücken und unnötige Büroparks zu bauen. Aber während die allgegenwärtigen Bauarbeiten in Japan mir stets vertraut erschienen, fast tröstlich in ihrer Augenfälligkeit, war das Übermaß hier unerklärlich, ja, irgendwie bedrohlich. Wer traf die Entscheidungen? Wer fälschte die Umweltschutzberichte, damit die Projekte abgesegnet wurden? Wer strich die Schmiergelder ein? Ich wusste es nicht. In vielerlei Hinsicht war mir Macau ein Rätsel.
    Ich war die letzten drei Wochen hier von Hotel zu Hotel gezogen, hatte mich unauffällig verhalten und versucht, ein Gespür für die Stadt zu entwickeln. Bevor ich den Belghazi-Auftrag angenommen hatte, wusste ich nicht mehr über Macau als das, was ich in der Far Eastern Economic Review gelesen hatte. Die Rückgabe von Portugals letzter Überseeprovinz an China im Jahre 1999 war freundschaftlich verlaufen, wie bei solchen Dingen üblich, und die fünf Prozent portugiesischer Abstammung in der Bevölkerung waren ungewöhnlich gut integriert, sprachen Kantonesisch und pflegten einen so guten Umgang mit den Einheimischen, dass es den meisten britischstämmigen Hongkongern die Schamröte ins Gesicht treiben müsste. Macaus Dienstleistungsgewerbe beschäftigte überwiegend Filipinos und Thais. Für ein Gebiet, das noch bis vor kurzem der Ball eines fünfhundert Jahre alten Pingpongspiels der Großmächte gewesen war, hatte es ein erstaunlich sicheres Gefühl für seine eigene Identität.
    Nach drei Wochen in der Stadt wusste ich einiges mehr: wie ich mich zu kleiden, zu gehen und zu bewegen hatte, um wie einer der Millionen Besucher aus – sagen wir – Hongkong zu wirken. Ich kannte die Geschäfte und Straßen und ihren Rhythmus, die Regeln und Gepflogenheiten der Kasinos. All das würde für den anstehenden Job ein großer Vorteil sein.
    Ich hörte das Telefon in Karates Zimmer klingeln. Der Fernseher verstummte.
    »Allô?« ,hörte ich ihn sagen. Eine Pause, dann: »Bien. «
    Also Franzose, wie ich aufgrund seines nikotingeschwängerten Zimmers bereits vermutet hatte. Mein Französisch bestand nur aus ein paar Restbrocken von der High School, und der Empfang über Ohrhörer war gedämpft und wurde immer wieder durch statisches Rauschen gestört. Die Sache würde nicht leicht werden.
    »Oui, il est arrivé ce soir. «
    Das verstand ich. Ja, er ist heute Abend angekommen.
    Wieder eine Pause. Dann: »Pas ce soir. « Nicht heute Abend.
    Pause. Dann: »Oui, la réunion est ce soir. Ensuite cela. « Ja, das Treffen ist heute Abend. Danach dann.
    Pause. Ein Wortschwall, den ich nicht verstand, gefolgt von: » Tout va bien. « Alles in Ordnung. Wieder ein unverständlicher Wortschwall. Dann: »Je vous ferai savoir quand ce sera fait. « Ich sage Bescheid, wenn es erledigt ist.
    Klick. Zurück zu CNN.
    Eine halbe Stunde später verstummte der Fernseher erneut. Ich hörte, wie seine Tür geöffnet und geschlossen wurde. Er ging aus.
    Ich schnappte mir eine dunkle Windjacke und lief die Treppe
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