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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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Rückenhorn schenkte?«
    »Niemals! Er meinte, das Horn sei das Zeichen seines Treuebundes mit mir. Ich soll es nehmen und in Ehren bewahren. ›Vielleicht ist es dir eines Tages von Nutzen‹, prophezeite er.«
    »Siehst du! Und genau das ist passiert. Thaurin entstand in deinen Gedanken. Du hast ihn beseelt. Ebenso Andora. Sie wisse, wie leicht Oros sich vom eigenen Glanz blenden lässt, hat sie dir gesagt. Und genau so bannte sie ihn dann auch mit ihrer spiegelblanken Brust. Die Gliederpuppe war dein Geschöpf, Theo. Du hast den Herrn der Zeit besiegt und niemand sonst.«
    »Abgesehen von dir.«
    »Jetzt mach aber mal halblang! Ich bin da nur irgendwie reingeraten …«
    »Nein, Sophia«, unterbrach er sie. »Oros und ich haben dich in den Zeitfenstern gesehen. Mir bist du sogar in den Träumen erschienen. Du gehörst genauso wie ich zu dieser merkwürdigsten Geschichte der Welt. Vergiss nicht die letzten Worte von Poseidonios. Der Stundenwächter wollte dich töten, damit niemals geschieht, was er im Labyrinth der Zeit gesehen hat.«
    »Stattdessen hat er meine Eltern umgebracht«, sagte Sophia tonlos. Sie blinzelte. »Weißt du was?«
    »Sag’s mir.«
    »Irgendwie fühle ich mich erleichtert. Ich meine, der Schmerz ist immer noch da. Ich vermisse Mama und Papa. Aber die Ungewissheit ist weg. Ich weiß jetzt, warum und wie sie gestorben sind. Und dass ihr Mörder seine gerechte Strafe bekommen hat. Das ist, so komisch das klingt … tröstlich.«
    »Ich kann dich gut verstehen.«
    Beide Augenpaare wandten sich der Entenfamilie zu, als sei der eigentliche Zweck ihres Hierseins die ornithologische Feldforschung. Eine Weile beobachteten sie so wie Lykos aufmerksam die hinter ihrer Mutter herpaddelnden Küken.
    »Bist du mir auch wirklich nicht mehr böse?«, fragte Theo unvermittelt.
    Sophia hob die Schultern. »Quatsch! Mir hätte genau das Gleiche passieren können.«
    Er schob ihr mit zwei Fingern ein paar Haare aus dem Gesicht und lächelte. »Dir nicht. Du bist perfekt.«
    »Na ja.«
    »Ich war einfach nicht mehr ich selbst.«
    Sie nickte. »Im wahrsten Sinne des Wortes.« Mit einem Mal konnte sie nicht länger aufs Wasser hinausstarren. Sie musste erneut den Jungen ansehen, den sie in den letzten Wochen so lieb gewonnen hatte … Lieb? Vielleicht war das nicht das richtige Wort. Gab es nicht noch ein stärkeres …? Seine außergewöhnlichen Augen schienen ihr gerade die gleiche Frage zu stellen. Sie merkte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss, und senkte den Blick. Leise sagte sie: »Du bist jetzt frei, Theo. Was wirst du nun tun?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Weiß nicht. Ich komme aus einer völlig anderen Zeit. Hier habe ich niemanden.«
    »Niemanden?«, wiederholte sie ungläubig. Lykos wandte sich zu ihnen um. Sie sah wieder in Theos Gesicht. Entschlossen griff sie nach seiner Hand, wie er es sonst immer getan hatte – um sie zu beschützen.
    Sein Kopf drehte sich. Er sah sie fragend an.
    Sie gab ihm einen schnellen Kuss auf den Mund und lächelte. »Das stimmt nicht, Theo. Du bist nicht mehr allein. Ab heute hast du mich.«

Epilog
    W ährend Sophia und Theo in den Pforzheimer Enz-Auen Pläne für ihre gemeinsame Zukunft schmiedeten, brummte unter dem offenen Fenster der Juwelenschmiede Torvic Layher ein winziges orangefarbenes Kehrfahrzeug vorbei und verleibte sich mit rotierenden Bürsten sämtliche Teile des Nürnberger Eies ein. Ein alltägliches Bild, könnte man meinen. Wenn die Straßenkehrmaschine ihr Werk nicht ganz ohne Fahrer verrichtet hätte …
    Etwa zur gleichen Zeit hantierte im russischen Sankt Petersburg der junge Restaurator Vitalij Repin mit einem großen Röntgenapparat. Darin befand sich ein Gemälde: vermutlich Ende des 16. Jahrhunderts entstanden, Öl auf Pergament (für die Epoche nicht ungewöhnlich), unbekannter Maler. Es war in den schier endlosen Archiven des Winterpalais zwischen drei Millionen anderen Kunstobjekten einfach vergessen und erst kürzlich wiederentdeckt worden.
    Auffällig fand Vitalij die Abmessungen des aus Tierhäuten angefertigten Trägermaterials. Das Seitenverhältnis orientierte sich mit einer Breite von exakt 2058 und einer Höhe von 1272 Millimetern am Goldenen Schnitt, der den alten Griechen als Inbegriff ausgewogener Proportionen galt; die Kunst der Renaissance hatte diese Vorliebe wieder aufleben lassen. Interessanterweise lag den Bildmaßen der attische Fuß von 294 Millimetern zugrunde, also ebenfalls ein antikes Längenmaß. Vielleicht
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