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Der verbotene Schlüssel

Titel: Der verbotene Schlüssel
Autoren: Ralf Isau
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sollte das alles die besondere Harmonie mit dem dargestellten Motiv ausdrücken, grübelte der Russe, während sein Computer die umfangreichen Daten aus dem Röntgenapparat zur Anzeige aufbereitete.
    Der unbekannte Künstler hatte sich bei der Wahl seines Sujets – auch das typisch für die Renaissance – an der griechischen Mythologie vergriffen: Adler Ethon hackt Prometheus die Leber aus dem Leib. Eklige Angelegenheit, fand Vitalij. Weil jeder wirklich gute Restaurator das seinen Händen anvertraute Bild so behandelt wie eine Frau, zu der er eine feste Beziehung anstrebt, hatte er sich umfassend informiert.
    Der Name Prometheus bedeutete der Vorausdenkende – hatte Vitalij nicht gewusst. Eher schon geläufig war ihm die Sage, die sich um diesen Helden rankte. Er hatte die Menschen aus Ton geformt, den Göttern danach das Feuer gestohlen und es seinen irdenen Geschöpfen untergejubelt. Obwohl oder gerade weil Zeus, der oberste Gott im Pantheon, ihn dafür hart bestrafte – sich jeden Tag die Leber aus dem Leib reißen zu lassen, war nun wirk lich fies –, wurde der Feuerbringer und Lehrmeister der Men schen von ihnen bis in die Neuzeit verehrt. Sein Name zierte sogar ein europäisches Forschungs- und Entwicklungsprojekt zum Thema führerlose Autos. Das Aufbegehren des Helden gegen die mächtigen Oligarchen auf dem Olymp machte ihn gewissermaßen zu einem der ersten Revolutionäre. Im modernen Russland, das seine Oktoberrevolution gerne als Aufbruch in ein neues Zeitalter verstanden wissen wollte, fand man das Gemälde daher einer gründlichen Restaurierung wert.
    Um es in seiner alten Pracht wiedererstrahlen zu lassen, hatte die Eremitage – eines der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt – nicht ihren erfahrensten, aber ihren begabtesten Restaurator beauftragt. Vitalij sah es als große Herausforderung. Er war Maler und Technikfreak zugleich. Die Arbeit mit dem Röntgengerät hatte für ihn immer etwas von Schatzgräberei: Man fand manchmal ungeahnte Schätze.
    Bevor er das Gemälde in seinen ursprünglichen Zustand versetzte, wollte er deshalb wissen, wie das Original ausgesehen hatte. Nicht selten waren Bilder später übermalt worden. Hin und wieder hatte man auf diese Weise unliebsame Figuren ausgetilgt, gelegentlich sogar die ganze Leinwand recycelt: Auf einem alten Kunstwerk entstand dann einfach ein völlig neues.
    »Mal sehen, was für Geheimnisse uns der Vorausdenkende verrät«, murmelte Vitalij gespannt, als sich das Röntgenbild auf dem Computermonitor aus Rastern Zeile für Zeile aufbaute.
    Plötzlich war er wie elektrisiert. Unter der Schicht aus Firnis und Ölfarbe verbarg sich tatsächlich etwas völlig anderes. Es war kein früheres Gemälde, auch keine Skizze des Malers, wie er es schon oft erlebt hatte, sondern es sah eher wie ein Konstruktionsplan aus. Zahnräder waren darauf zu sehen, Zeiger und in der Mitte ein merkwürdiges Objekt.
    Vitalijs Nase rückte näher an den Bildschirm heran. Spontan musste er bei dem Gebilde an die Matrjoschkas denken. Aber hier waren keine ineinanderverschachtelten Holzpuppen abgebildet, sondern sieben halbe Sphären.
    Die Augen des Restaurators begannen zu leuchten.

Anmerkungen des Autors
    P ablo Picasso hatte seine Blaue-Reiter-Phase und mich scheinen die Uhren nicht loszulassen. Im Roman Der Herr der Unruhe, wo wir Nico dei Rossi und seiner Laura zum ersten Mal begegnen, sah ein Fiesling sich an eine Lebensuhr gekettet – blieb deren Unruh stehen, so fürchtete er, würde auch sein Herz aufhören zu schlagen. Nun also mit dem kosmischen Mechanismus eine neue Interpretation des Themas.
    Gleich am Anfang des Schlusses soll all jenen gedankt sein, die am Gedeihen des vorliegenden Romans mitgewirkt haben, insbesondere Dr. Peter Gyr von der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz, weil er mir sein schönes Luzern nahe- und ein paar Brocken Schwyzerdütsch beigebracht hat; Heinz und Simone Stucki, mit deren Insiderwissen ich den Schweizer Episoden den nötigen Feinschliff verleihen konnte; dem Verein und der Stiftung für die Erhaltung der Museggmauer im Allgemeinen und deren Turmwart Walter Fassbind im Besonderen, die den Luzerner Zytturm im wahrsten Sinne des Wortes für mich – von außen und innen – greifbar gemacht haben; dem IfG (Institute for Scientific Instruments), insbesondere Frau Christine Rabe, sowie Roald Tagle von Bruker AXS Microanalysis für die Hilfe bei der Durchleuchtung ominöser alter Gemälde; meinem Agenten
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