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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Autoren: Jay Lake
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läuten, weder die meiner Seide noch die des Ochsen.
    »Man wird dich zu einer feinen Dame erziehen und dich in allem unterrichten. Sei jetzt still und sieh dir das an, was ich dir zeigen kann.«
    Nach ein paar Tagen auf See ging ich außerhalb der regelmäßigen Unterrichtsstunden und Mahlzeiten zum Segelmacher und bat ihn um ein Stück Stoff. Er gab mir ein abgerissenes Stück Popelin von einer Segelumhüllung und zwei fast stumpfe Nadeln. Ich versteckte alles unter meinem Bett, während ich mir überlegte, was ich als Glöckchen nehmen könnte. Ich zog Fäden aus meinen Laken und nähte einen Knoten für jeden Tag meiner Gefangenschaft und schwor, dass ich die Glöckchen anbringen würde, sobald es möglich war, und auch die tausend Glöckchen noch einmal zu befestigen, die zu Beginn meines Lebens erst meine Mutter, dann meine Großmutter und dann ich angenäht hatten.
    So freundlich Federo auch sein mochte, würde ich mir das nicht von ihm wegnehmen lassen.
    Da der Bootsmann es inzwischen für unwahrscheinlich hielt, dass ich noch einmal über die Reling springen würde, durfte ich mich auf dem offenen Deck aufhalten. Es gab jeden Tag ein paar Stunden, in denen ich nicht viel zu tun hatte, so begann ich nach und nach die Schicksalsvogel zu erkunden, die Mannschaft bei ihrer Arbeit zu beobachten und nach Dingen Ausschau zu halten, die ich statt der kleinen Glöckchen verwenden konnte.
    Die meisten Seeleute amüsierten sich über mich. Einige knurrten, andere bedachten mich mit langen, kalten Blicken, aber viele lächelten und zeigten mir ihre Arbeit. Wir hatten eine angenehme Reise ohne Stürme, was ungewöhnlich war, wie ich später erfuhr. Der große Dampfkessel im Herzen des Schiffes war es, der uns hauptsächlich vorantrieb. Der Kapitän ließ die Segel für einen Extraschub setzen, wenn der Wind günstig war.
    Ich sah zu, wie Enten aus ihren Ställen zum Hecküberhang in die Morgensonne getrieben wurden. Ich beobachtete den Seiler beim Spleißen und Flechten des Hanfes und die Deckarbeiter unter Aufsicht des Quartiermeisters beim Umschichten der Ladung. Ich sah die Geschützmannschaften bei ihren Übungen, doch ich erlebte nie, dass sie feuerten. Manchmal fragte ich mich, ob die Geschütze wirklich funktionierten oder nur zur Schau da waren. Ich beobachtete Männer beim Fischen am Heck und beim Harpunenwerfen mittschiffs. Ich sah den Zimmermann Stützbalken austauschen und den Schmied Scharniere anfertigen.
    Bei ihm fand ich Sachen, die ich verwenden könnte. Natürlich wollte ich nicht, dass mein Stoff wirklich klingelte, denn dann hätte Federo sofort gewusst, dass ich wieder etwas plante. Aber der Schmied verfügte über Nägel und Schrott und Dutzende verschiedener Scheibchen und andere kleine Teile.
    »Ich spiele Soldaten«, sagte ich ihm, als er mir am dritten Tag erlaubte, mich in der Schmiede aufzuhalten.
    Er war ein gewaltiger Mann, wie es Schmiede wohl überall sind. Sein Haar war hell und immer verschwitzt. Seine Augen vom tiefen Blau eines Edelsteins. »Und gewinnst du, Kleine?«
    »Im Krieg gewinnt niemand«, erklärte ich steif. »Manche verlieren weniger als andere, wenn sie Glück haben.«
    Der Schmied lachte. »Ich verstehe, warum der eitle Pfau so einen Narren an dir gefressen hat.«
    Eitel war ein neues Wort für mich. Ich schob es beiseite, um mich später damit zu befassen. Aber ich hatte bereits das Gefühl, dass ich Federo lieber nicht danach fragen sollte, warum ihn der Schmied so genannt hatte.
    »Er ist gut zu mir«, log ich. »Aber er will nicht Soldaten spielen.«
    Wieder lachte der Schmied. Dann gab es ein metallenes Getöse, als er einen eisernen Ring hämmerte, der für eine Saling hoch über uns gebraucht wurde.
    »Kannst du mir ein paar Soldaten geben, Sir?«, fragte ich schließlich. Ich wich seinem Blick nicht aus, als ich mit ihm sprach – Direktheit schien bei diesen bleichen Männern von jenseits des Meeres am erfolgversprechendsten zu sein.
    Er hielt inne, wischte sich mit dem rechten Handgelenk den Schweiß von der Stirn, ohne den Hammer loszulassen. »Ich habe keine Bleigussformen für Spielzeugfiguren, Kleine. Das braucht hier niemand an Bord. Aber vielleicht spielt einer der feinen Herren im Heck in seiner Schlafkoje heut Nacht mit kleinen Männchen.« Der Schmied lachte prustend. Zu dem Zeitpunkt begriff ich noch nicht, was er meinte.
    »Nur Eisenstückchen oder Nägel, Sir«, sagte ich rasch. »Damit ich sie in Schlachtordnung marschieren lassen kann.« Die Phrase
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