Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
gegen deinen Weg wehren und dafür Wunden und Narben empfangen, bis du keine Kraft mehr hast und untergehst, weil du es nicht mehr wert bist, geformt zu werden. Oder du kannst weiterlaufen, die Läufer in ihrem eigenen Spiel schlagen und deine Preise gewinnen.«
    »Welche Preise?«, zischte ich.
    »Leben, Gesundheit, Sicherheit.« Er packte mich am Kinn, nicht sehr fest, und seine Augen wurden schmal, sein Blick eindringlich. »Das Recht, eines Tages wieder deine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
    Er ließ mich los und nahm das Bündel unter den Arm. »Wir haben nie über das hier gesprochen. Ich werde dieses Gespräch vergessen. Das tust du am besten auch. Denk nicht mehr daran und auch nicht mehr an deine Glocken.«
    Er stapfte hinaus, überquerte das geschäftige Deck, und warf, ohne sich noch einmal nach mir umzudrehen, meinen armseligen Versuch, die Vergangenheit festzuhalten, in die Bucht.
    Ich wusste, dass er mir zu viel gesagt hatte, aber ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, zu viel wovon. Erwachsene reden immer entweder über oder unter dem Niveau von Kindern. Das ist ein Fehler, der mir auch jetzt wieder bewusst wird. An diesem Tag war alles, was ich sah, nur ein weiterer Verrat.
    Ich werde mich kein drittes Mal freiwillig an ihn binden lassen, schwor ich mir.
    »Komm«, rief er von der Reling her. »Ich zeige dir die Stadt, in der du jetzt zu Hause bist.«
    Widerwillig schlurfte ich über das Deck.
    Meine Glocken waren erneut verloren. Aber die Schicksalsvogel hatte ihre eigenen. Sie klangen triumphierend, als sie mit Dutzenden gebetsfahnenähnlich flatternden Flaggen in den Hafen einfuhr. Glocken auf kleinen im Hafen schwimmenden Plattformen antworteten, als die Wogen kamen. Andere Glocken im Hafen und auf Schiffen fielen ein.
    Copper Downs verhöhnte mich und erinnerte mich mit vielfachem Geläut an das, was mir weggenommen worden war. Oh, wie ich diese götterverlassene Stadt und ihre totenbleichen Bewohner hasste!
    Sie musste mehr als tausend Mal so groß wie mein Dorf sein. Auf einen Blick sah ich mehr Leute, als es nach meiner Vorstellung auf der ganzen Welt geben konnte. Die Gebäude waren noch viel höher als die Begräbnisplattformen meiner Heimat – und diese Säulen sind die höchsten Dinge, die wir errichten, um die Seelen der Freiheit des Himmels näher zu bringen. Die Stadt erstreckte sich wenigstens eine Stunde Fußmarsch östlich und westlich der Anlegestellen, auf die der Hafenlotse die Schicksalsvogel jetzt zusteuerte. Eine alte, halb verfallene Mauer verlief aus dem Häusermeer einen Hügel im Westen hinauf. Östlich des Hafens konnte ich große Dächer aus dem leuchtenden Kupfermetall ausmachen, das der Stadt den Namen gegeben hatte.
    Trotz meines Zornes faszinierte mich die Stadt.
    »Der Tempelbezirk«, sagte Federo, als er meinem Blick folgte. »Häuser, die die Götter verlassen haben, auch wenn die Türstufen noch immer von den Priestern gefegt werden.«
    »Das dort am Wasser sind Lagerhäuser.« Ich deutete auf die großen Gebäude im Hafen. »Wo die Kaimeister und die Frachtmakler ihren Geschäften nachgehen.«
    »So ist es.« Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. Ich hatte schon so viel auf dieser Reise gelernt.
    Mit Rufen und Pfeifkommandos fand die Schicksalsvogel ihren Weg zu einer Pier mitten im geschäftigen Chaos des Hafens. Ich hatte sie für ein großes Schiff gehalten, als sie vor der Küste meines Heimatlandes ankerte, doch hier war sie nur ein Schiff von vielen. Wenige trugen Dampfkessel im Bauch, doch damals wusste ich noch nicht genug, um das zu erkennen, denn alle Schiffe besaßen Masten mit ihrem Netzwerk von Tauen.
    Arbeiter, Makler und Zollbeamte warteten im Gedränge am Kai, als die dicken Taue hinabgeworfen wurden. Bald war das Schiff vertäut und bereit, entladen zu werden. Allein dieses Gedränge bestand aus mehr Menschen, als ich je zuvor gesehen hatte. Sie standen Schulter an Schulter und riefen und schwenkten farbige Bänder oder Zettel. Beides musste eine Bedeutung haben, dachte ich. Ein Auftrag oder ein Angebot für eine Dienstleistung.
    Es war leichter, sich darauf zu konzentrieren, was sie taten, als darauf, wer sie waren. Ich fand es dumm von meinem jüngeren Ich, Federo zu fragen, ob Papa und Ausdauer mich hier erwarten würden. Der Ochse ergäbe eine Mahlzeit für vier Dutzend Männer, und Papa wäre in dieser Menge so verloren wie ein Grashalm zwischen den Reispflanzen.
    Ich fühlte mich schuldig bei diesen Gedanken. Nun weiß ich,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher