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Der Väter Fluch

Der Väter Fluch

Titel: Der Väter Fluch
Autoren: Faye Kellerman
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Eier und Ketchup waren gegen die Wände geschleudert worden und hatten glibberige Flecken hinterlassen. Aber die Wände waren noch nicht das Schlimmste - irgendjemand hatte die heiligen Schriften in Stücke gerissen und die Fetzen über den Boden verstreut. Doch selbst die Schändung der Thorarollen und der Gebetbücher war nicht so schlimm wie die grauenhaften Fotos von Opfern von Konzentrationslagern, die man auf die ruinierten hebräischen Texte gelegt hatte. Sie wandte den Blick ab, hatte aber schon zu viel gesehen - widerwärtige Schwarzweiß-Schnappschüsse, die einzelne Körper mit entstellten Gesichtern und weit aufgerissenen Mündern zeigten. Einige waren bekleidet, andere nackt.
    Auch Shearing starrte darauf, schüttelte die ganze Zeit den Kopf und murmelte leise »O Mann, o Mann« vor sich hin. Er schien Rina völlig vergessen zu haben. Sie räusperte sich, auch um ihn aus seinen Gedanken zu reißen, aber vor allem, um die aufsteigenden Tränen zurückzudrängen. »Ich sollte mich wohl umsehen, ob irgendetwas Wertvolles fehlt.«
    Mickey schaute Rina an. »Ja... ja, natürlich. Gab es hier irgendwas Wertvolles...? Ich meine, ich weiß ja, dass die Bücher wertvoll sind, aber gab es etwas Wertvolles, das jedem sofort ins Auge gefallen wäre? Irgendwelche ökumenischen Sachen aus Silber... ist >ökumenisch< überhaupt das richtige Wort?«
    »Ich weiß, was Sie meinen.«
    »Es tut mir so Leid, Mrs. Decker.«
    Die Entschuldigung kam so ehrlich und aufrichtig, dass Rina zu weinen begann. »Niemand musste sterben, niemand ist verletzt. Es hilft, die Dinge im richtigen Verhältnis zu sehen.« Rina wischte sich über die Augen. »Die meisten unserer Gegenstände aus Silber und Gold sind in dem Schrank dort... der mit den Gittern. Das ist unsere Heilige Lade.«
    »Ein Glück, dass Sie die Gitter eingebaut haben.«
    »Das haben wir nach der Schießerei im jüdischen Gemeindezentrum machen lassen.« Sie ging hinüber zum Aron ha-Kodesch.
    »Nicht das Schloss anfassen, Mrs. Decker«, warnte Shearing sie.
    Rina hielt inne.
    Er versuchte zu lächeln. »Fingerabdrücke.«
    Rina betrachtete das Schloss mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. »Die Kratzer sind neu - jemand hat versucht, es aufzubrechen.«
    »Stimmt, das ist mir auch aufgefallen. Wahrscheinlich haben die das Schloss gesehen und gedacht, dass hier die ganzen Wertsachen aufbewahrt sind.«
    »Damit hätten sie Recht gehabt.« Pause. »Sie sagten >die<. Mehr als ein Täter?«
    »Bei dem Schaden würde ich sagen, ja, aber ich bin kein Detective. Das überlasse ich Profis wie Ihrem Mann.«
    Plötzlich wurde ihr schwindlig, und sie musste sich am Gitter festhalten, um nicht umzufallen. Sofort sprang Mickey ihr zur Seite.
    »Alles in Ordnung, Mrs. Decker?«
    Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Es geht schon wieder.« Sie richtete sich auf und schaute sich prüfend wie ein Handwerker im Raum um. »Der größte Teil der Schäden scheint nur oberflächlich zu sein - nichts, was ein Eimer Seifenlauge und ein Malerpinsel nicht wieder in Ordnung bringen könnten. Die Bücher sind natürlich eine ganz andere Sache.« Sie zu ersetzen, würde die Gemeinde mindestens eintausend Dollar kosten, Geld, das sie eigentlich für einen Teilzeit-Jugendleiter zurückgelegt hatten. Wie die meisten Einrichtungen auf ehrenamtlicher Basis musste auch die schul mit einem äußerst knappen Budget auskommen. Eine Träne rann ihre Wange hinunter. »Immerhin haben sie nicht versucht, es niederzubrennen.« Sie kämpfte gegen ihre Tränen. »Wir sollten positiv denken, oder?«
    »Genau!«, bestätigte Mickey. »Das ist die richtige Einstellung!«
    Rinas Augen wanderten erneut suchend über den Fußboden. Zwischen den Fotos entdeckte sie kopierte Tuschezeichnungen von Juden mit übertrieben großen Hakennasen. Sie stammten vielleicht aus alten Ausgaben von Der Stürmer oder dem Protocol of the Eiders of Zion. Dann warf sie einen weiteren Blick auf die körnigen Fotografien. Bei näherem Hinsehen erkannte sie, dass die Schwarzweißfotos nicht wie Kopien aussahen, sondern wie Originalaufnahmen von jemandem, der damals vor Ort gewesen war. Allein schon der Gedanke - jemand hatte diese Toten fotografisch festgehalten - ekelte sie an. Und jetzt verteilte dieser Jemand sie als furchtbare Erinnerung oder als Drohung.
    Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen der Wut. Sie war so zornig, so traurig, dass sie ihren Kummer am liebsten in die ganze Welt hinausgeschrien hätte. Stattdessen zog
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