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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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dieser Nacht irgendeine Gewalttat angezeigt?«
    »Nein.«
    »Was ist mit dem Telefonbuch? Wurde eine Seite oder ein Name markiert?«
    »Könnte es sein, dass Sie sich für einen Bullen halten?«
    Mathias biss die Zähne zusammen.
    »Ich versuche doch nur, den Mann zu identifizieren. Noch einmal: Wir beide ziehen am gleichen Strang. Morgen werde ich es mit Hypnose versuchen. Wenn Sie also auch nur den kleinsten Hinweis oder irgendeine Information besitzen, die meine Fragen in eine bestimmte Richtung lenken können, dann sollten Sie sie mir jetzt geben.«
    »Da gibt es nichts«, knurrte der Polizist. »Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen?«
    »Ich habe auf der Wache angerufen. Anscheinend arbeitet heute niemand an dem Fall.«
    »Morgen früh bin ich wieder im Dienst«, sagte der Polizist übellaunig. »Der Fall gehört zu meinen vorrangigen Aufgaben.«
    »Was haben Sie mit dem Werkzeug und dem Telefonbuch gemacht?«
    »Wir haben ein Eilverfahren eingeleitet, um die entsprechende Erfassung zu beschleunigen.«
    »Bitte das Ganze noch mal so, dass es auch ein Normalsterblicher versteht.«
    Der Polizist lachte. Seine Stimmung besserte sich zusehends.
    »Die Sachen sind bei der Spurensicherung. Montag bekommen wir die Resultate. War das jetzt besser?«
    »Darf ich auf Sie zählen? Auch der kleinste Hinweis wäre mir wichtig.«
    »Gut«, sagte Pailhas deutlich verbindlicher. »Aber die Sache funktioniert nur auf Gegenseitigkeit. Sollten Sie mit Ihrer Hypnose etwas herausfinden, rufen Sie mich an.«
    Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu:
    »Es liegt in Ihrem eigenen Interesse.«
    Mathias musste lächeln. Reflexartige Drohung. Eigentlich müsste jeder Bulle eine Psychoanalyse über sich ergehen lassen, damit man wüsste, warum er ausgerechnet diesen Beruf gewählt hat. Freire versprach, sich zu melden, und gab Pailhas seine Telefonnummer. Keiner der beiden glaubte an ein Feedback. Das Motto lautete: Jeder für sich, und möge der Bessere gewinnen.
    Freire kehrte in die Notaufnahme zurück. Er musste nur noch zwei Stunden durchhalten und durfte dann vor dem üblichen Samstagabend-Chaos nach Hause gehen. Er kümmerte sich nacheinander um mehrere Patienten, verschrieb Antidepressiva und Anxiolytika und schickte die Leute wieder nach Hause.
    22.00 Uhr.
    Mathias begrüßte den Arzt, der ihn ablöste und sein Büro aufsuchte. Der Nebel hatte sich noch immer nicht aufgelöst. Im Gegenteil, mit Einbruch der Dunkelheit schien er sich verdichtet zu haben. Freire fiel auf, dass der dichte Dunst seinen ganzen Tag verdüstert hatte. Als wäre in der dampfigen Luft nichts wirklich real.
    Er legte den Kittel ab, suchte seine Sachen zusammen und schlüpfte in den Regenmantel. Ehe er ging, wollte er noch einmal kurz bei dem Mann mit dem Stetson vorbeischauen. Er betrat die erste Etage seiner Station. Im Flur roch es nach Essen, Urin, Äther und Medikamenten. Er hörte das Schlurfen von Pantoffeln auf dem Linoleum, laufende Fernseher und das klackende Geräusch eines Aschenbechers.
    Plötzlich sprang eine Frau auf Freire zu. Unwillkürlich zuckte er zurück, doch dann erkannte er sie. Jeder nannte sie nur Mistinguett; auch er hatte ihren wirklichen Namen vergessen. Sie war sechzig Jahre alt, von denen sie vierzig in der Anstalt verbracht hatte. Bösartig war sie nicht, aber ihr Äußeres sprach nicht unbedingt für sie. Weißes, wirres Haar. Graue Haut, schlaffe Züge. Ihre fiebrigen Augen glitzerten grausam. Sie klammerte sich an den Kragen von Freires Trenchcoat.
    »Immer mit der Ruhe, Mistinguett«, sagte er und löste ihre klauenartigen Hände von seinem Revers. »Gehen Sie schlafen.«
    Die Frau lachte höhnisch auf, ehe ihr Lachen sich in ein hasserfülltes Pfeifen und schließlich in ein verzweifeltes Keuchen verwandelte.
    Freire griff nach ihrem Arm. Sie roch unangenehm nach einem Einreibemittel und abgestandenem Urin.
    »Haben Sie Ihre Tabletten genommen?«
    Wie oft am Tag wiederholte er diese Worte? Schon längst war es keine Frage mehr. Eher ein Gebet, eine Litanei, eine Beschwörung. Es gelang ihm, Mistinguett in ihr Zimmer zurückzubringen. Ehe sie noch irgendetwas sagen konnte, verschloss er die Tür.
    Ihm fiel auf, dass er aus einem Reflex heraus nach seiner magnetischen Chipkarte gegriffen hatte, mit der er Alarm auslösen konnte. Man brauchte bloß damit über einen Heizkörper oder ein Stahlrohr zu streichen, dann kamen Pfleger in hellen Scharen angerannt. Mit einem unbehaglichen Gefühl steckte er die Karte wieder
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