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Der Untergang der Götter - Die Rückkehr (German Edition)

Der Untergang der Götter - Die Rückkehr (German Edition)

Titel: Der Untergang der Götter - Die Rückkehr (German Edition)
Autoren: Stefan M. Ritter
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freilassen, als wäre er für immer mit ihr verbunden. Und vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, war es auch so.
    Er wusch sich das Gesicht mit dem Wasser aus der Schale, das Mela auf einen kleinen, klapprigen Holztisch gestellt hatte, und legte sich dann mitsamt seiner Sachen auf das Bett. Minutenlang genoss er das Gefühl, nicht auf hartem Stein liegen zu müssen, und starrte einfach nur vor sich hin. Es fiel ihm schwer, sich zu entspannen, denn er war gewohnt, in jedem Augenblick seines Lebens auf der Hut zu sein. Lange hatte er gekämpft und getötet. Viel zu lange.
    Er wusste, dass er nicht würde schlafen können – jedenfalls noch nicht -, aber das spielte keine wirkliche Rolle. Er konnte warten, und eines Tages würde auch er wieder Schlaf finden. Eines Tages würde er vergessen können. Doch er war nicht hierher gekommen, um zu vergessen. Ganz und gar nicht.
    Als es klopfte, Mela hereinkam und damit begann, heißes Wasser in einen Trog zu füllen, fühlte er zum ersten Mal seit Ewigkeiten so etwas wie Wärme in seinem Körper aufwallen. Sein ganzer Körper sehnte sich danach wie ein Verdurstender nach einen Schluck Wasser.
    Er wartete, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war und seinen Raum verlassen hatte, dann entkleidete er sich und ließ sich in das heiße Wasser gleiten, das ihn wie ein Mantel fast völlig umschloss. Ja, dachte er, das Leben hatte ihn wieder, zumindest für eine kurze Zeit.
     
    ***
     
    Linan stand wie fast jeden Morgen am Rande der Klippen und starrte hinab aufs Meer, über dem die Sonne aufzugehen begann. Sie genoss das bläuliche, wenn auch noch schwache Licht, mit dem die Sonne die Dunkelheit Stück für Stück verdrängte und so etwas wie eine zarte Schönheit über das Land verstreute. Eine Schönheit, die in Boram, der Stadt in der sie lebte, sonst nicht zu finden war.
    Boram lag in ihrem Rücken, doch in diesem Augenblick hatte sie nur Augen für das Meer und seine Wellen. Von hier oben wirkte es vollkommen grenzenlos und verhieß etwas, das es in Boram nicht gab und das vielleicht nur ihre jugendliche Träumerei erkennen konnte. Schwer schlugen die Wellen gegen die Felsen unter ihr und brachen sich in tausend feine Nebel, die sich einem Mantel gleich in alle Richtungen verteilten und ausdünnten.
    Man erzählte sich, dass jenseits des Horizonts die Fernen Länder lagen. Wostos, Persteros und Peldros - so wurden sie genannt. Und doch kannte Mela niemanden, der je diese Länder mit eigenen Augen gesehen hätte; ihre Namen waren überliefert aus längst vergangenen Zeiten, in denen die Welt noch eine andere gewesen war.
    Die Karten, die Linan kannte, endeten hier am Meer und zeichneten die Fernen Länder nur schemenhaft und verschwommen. Nur Legenden erzählten noch von dem, was sich dort befinden sollte. Sie würde es nie erfahren, dachte sie mit einer gewissen Wehmut, denn kein Mensch würde es jemals wagen, mit einem Schiff ins Meer hinaus zu segeln. Nicht bei dem, was außerhalb der Städte und der Sicheren Wege lauerte.
    Meles danur wurde das Meer in der alten Sprache genannt – das Wasser der Endlosigkeit. Eine treffende Bezeichnung, wie Linan fand, auch wenn sie sich fragte, warum es ein solches Meer geben sollte, wenn an dessen Ende nichts weiter existierte als Legenden. Manchmal glaubte sie, etwas in der Ferne erkennen zu können, eine Insel oder ein Schiff vielleicht, aber stets war es nur ihre Fantasie, die ihr etwas ausmalte, was in Wirklichkeit gar nicht da war. Und doch – vielleicht existierte der allgegenwärtige Schrecken, der sie alle bedrängte und sie auch in ihren Träumen verfolgte, in jenen Fernen Ländern nicht. Vielleicht.
    Meles danur, schoss es ihr erneut durch den Kopf. Sie liebte die Alte Sprache, die heute nur noch wenige lesen geschweige denn sprechen konnten. Ihr Vater hatte Wert darauf gelegt, dass sie sie zumindest verstehen konnte, und Linan war dankbar dafür, auch wenn sie seine Beweggründe bis heute nicht verstanden hatte. Der Klang der Alten Sprache ließ sie ihr Leben vergessen und in ihrem Kopf Bilder einer anderen, größeren Zeit entstehen. Eine Zeit, in der Schönheit und Größe die Welt dominiert hatten.
    Traurig presste sie die Lippen zusammen. Noch Stunden hätte sie hier stehen können, träumend von dem, was vielleicht dort draußen in der Ferne lag, doch die Wachtürme, die beiderseits von ihr die Begrenzung der Stadt bildeten, riefen sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Leise seufzte sie und atmete tief aus, den Mantel
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