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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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aus, einen kleinen Supermarkt am Stadtrand von Crotone, meinetwegen auch die Gewächshäuser einer toskanischen Baumschule, so was eben. Es ist fast unmöglich, sie dabei zu erwischen, und wenn überhaupt etwas durchsickert, dann erfährt man es immer erst danach, kapierst du, Slucca? Erst danach.«
    Doch diesmal wusste er es vorher.
    »Frag mich nicht, wie, Slucca«, frohlockte er, »aber die Sache ist sicher, sie treffen sich Samstagabend zum Essen in einer Kneipe von Ostia, die so heruntergekommen ist, dass sie nicht einmal mehr im A eviter absolument, dem negativen Guide Michelin, zu finden ist. Und ich werde auch da sein.«
    »Haben sie dich denn eingeladen?« fragte ich ungläubig.
    »Ich werde nicht persönlich da sein, Slucca. Einer meiner Männer wird hingehen, und er wird meine Augen, er wird meine Ohren sein.«
    »Hast du jemanden bei ihnen eingeschleust?«
    »Ich schleuse dich ein, Slucca.«
    »Wie bitte, was hast du gesagt?«
    Die Filme und Fernsehfilme, in denen so ein Eingeschleuster vorkommt, kann ich mir nicht ansehen, sie versetzen mich in höchste Aufregung. Beim Serienkiller, der mit seiner Kettensäge daherschleicht, bei der Leiche, die langsam die Erde anhebt und aus dem Grab springt, ja, sogar beim Vampir, der doch so ein nettes Mädchen zu sein schien, bleibt mein Blutdruck immer unverändert 85:130. Auf das Weiße Haus zu zischende Raketen, Schießereien unter Drogendealern mit siebenunddreißig Niedergemähten, Autos und Häuser, die mitten im Stadtzentrum explodieren, all diesem sind meine Nerven ohne weiteres gewachsen. Aber wenn jemand eingeschleust wird, ist das der reine Horror. Die kleinste Geste kann ihn verraten, ein Blick kann sein Ende besiegeln. Er lächelt, trinkt Bier, haut der ganzen Gesellschaft fröhlich auf die Schultern, aber was, wenn sie ihn bereits entlarvt haben, wenn sie schon wissen, dass er ein Eingeschleuster ist? Das ist zu viel für mich, ich schalte auf ein anderes Programm.
    »Du lässt dir einen Schnurrbart wachsen, Slucca«, sagte Migliarini, »und du gehst als illegal eingewanderter Aushilfskellner, ein ganz einfache Sache.«
    »Aber ich kann nicht servieren, ich wäre eine Katastrophe.«
    »Genau deswegen wirst du umso glaubhafter wirken, und mit einem schönen Schnurrbart wird dich niemand ...«
    »Aber warum ein echter? Es gibt doch falsche, die perfekt sind.«
    Er fasste sich an seinen Schnurrbart, eine dicke gefärbte Bürste.
    »Die falschen lösen sich, Slucca, die können abgehen; wenn es dein eigener ist, glaubst auch du daran, du bist dann viel besser in deiner Rolle drin, verstehst du?«
    »Aber bis zum Samstag wächst mir doch kein richtiger mehr, das werden höchstens zwei jämmerliche Striche.«
    »Ein mazedonisches Schnäuzchen, Slucca. Besser als nichts.«
    Doch dann wurde die Sache um acht Tage verschoben, das geheime Treffen der Eigentlichen Mächte sollte nicht mehr in Ostia stattfinden, sondern auf dem Petersplatz, mitten in der Menge der Gläubigen und Touristen.
    »Und du wirst unter ihnen sein, Slucca, und Rosenkränze und Kappen mit sakralen Logos verkaufen.«
    »Inzwischen wächst das mazedonische Schnäuzchen viel zu stark.«
    »Dann gehst du eben zu einem ukrainischen Schnauz über, der ist dicker und länger.«
    Als dann das Geheimtreffen um weitere sechs Tage verschoben wurde (die Eigentlichen Mächte waren jetzt nach zehn Uhr abends in einer zum Aufnahmezentrum umfunktionierten Villa im Nomentano-Viertel verabredet), hatte ich einen mehr als überzeugenden Schnurrbart. Und an diesem Punkt schaltete sich Vasone ein, der Opernfan ist. »Das ist der perfekte hängende Türkenschnauz, reinster Rossini. Du brauchst jetzt nur noch dem Maestro zu folgen.«
    Für ihn ist Rossini der größte italienische Komponist, der einzige, der wirklich unseren Nationalcharakter in Musik zu setzen gewusst hat. »Die sollen mir doch nicht mit Verdi und Puccini kommen, Rossini ist es, der alles verstanden hat«, behauptet er eisern seinen Standpunkt. »In La Pietra del pamgone«, erklärte er mir nun, »haben wir genau, was du brauchst: einen falschen türkischen Händler, der großartig durchkommt, auch mit der Sprache.«
    »Aber wenn er ein Händler ist, dann wird er doch einen dicken Bauch haben und eine Rolex am Handgelenk, niemand wird ihn für einen illegalen Einwanderer halten.«
    »Und du wirst eben ein bankrotter Händler sein, total verschuldet, auf der Flucht vor der Ehefrau und den Gläubigern, der in seiner Verzweiflung ausgewandert ist.
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