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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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Du borgst dir einen alten Anzug von Migliarini aus, der Kerl ist ja zweimal so dick wie du, schlägst mit dem Hammer Risse in ein Paar alte Schuhe, und du wirst ein absolut glaubwürdiger Türke sein.
    »Und was ist mit der Sprache?«
    »Du sprichst italienisch und lässt alle Zeitwörter auf ara enden, wie der bei Rossini. Basic Turkish.«
    »Aber klingt das Türkische denn so?«
    »Nein, aber das genügtara, um jeden zu bescheißenara.«
    »Und wenn ich dort zufällig auf einen Kurden stoßara? Die Kurden hassenara die Türken.«
    »Du bistara eben ein Türke und Freund der Kurden, du umarmstara ihn und vergießtara gerührt ein paar Tränen.«
    »Aber wirdara der mir das glaubenara?«
    »Es ist ein Aufnahmezentrum, es wird voller Menschen sein, er wird dir nichts tun können. Er wird dich schief ansehen, dir die Zähne zeigen, aber er ist bestimmt nicht bewaffnet.«
    »Und wenn er mich mit einem türkischen Würgegriff erdrosseltara?«
    »Dann rufstara du die Polizei.«
    »Wenn die nur noch rechtzeitig kommtara!«
    Schließlich war ich bereit: lange Koteletten, plausibel hängender Schnauz, dunkle Sonnenbrille ... nein, die fiel zu sehr auf, das sah nach Türke aus, der etwas zu verbergen hat. Von Migliarinis Anzug (antiquiertes Haselnussbraun) hatte ich nur die Jacke angezogen, auf die ich mit Vasones Hilfe noch ein paar Ölflecken gemacht hatte. Und darunter Jeans aus dritter Hand, die mindestens aus Kappadozien kamen. Gelbe, abgestoßene, an der Ferse aufklaffende Schuhe, graues exweißes Hemd, keine Krawatte, keine Socken. Vasone wollte mich kahlscheren, aber ich weigerte mich standhaft. Lösung: eine dunkelblaue, bis über die Ohren heruntergezogene Wollmütze.
    »Du bist mehr als glaubhaft, Slucca, geh nur ruhig«, sagte Migliarini und hielt mit seinem Wagen fünfzig Meter vor der Villa. Wir waren tags zuvor daran vorübergegangen: »Es ist die da mit dem Türmchen. Hast du dir alles gut gemerkt?«
    Ein Backsteinbau im florentinischen Stil, zwei Stockwerke mit einem Türmchen, vorn ein offenes Gittertor, ein paar Sträucher, ein Brunnen ohne Wasser mit einer züchtig nackten Venus in der Mitte, verschiedene Autos, die auf dem Kies um das Gebäude herum geparkt waren.
    »Vergleichen wir unsere Uhren, Slucca.«
    Auf meiner war es 22.06 Uhr.
    »Gut, ich fahre jetzt nach Hause und warte. Du kannst mich bis, sagen wir, Mitternacht anrufen, danach gehe ich nicht mehr ans Telefon. Ich sehe mir die Aufzeichnung dieser gestrigen Debatte über das Komitee für die hysterische Krise an, ich will hören, was Bazzecca gesagt hat.«
    Dann legte er mir, eine für ihn ganz ungewöhnliche Geste, den Arm um die Schultern und drückte mich liebevoll.
    »Geh ganz ruhig, Slucca.«
    »Aber da werden doch überall Leibwächter sein, die werden mich nicht mal hereinlassen.«
    »Die Eigentlichen Mächte gehen zu diesen Treffen immer allein. Und vielleicht sogar auch verkleidet, wie du. Viel Glück, Slucca, gib gut acht und halt die Augen offen.«
    Ich schloss sie, um ein letztes Mal die Welt, das Leben zu grüßen; daraufsetzte ich erst den einen, dann den anderen löcherigen Schuh auf die Erde, stieg aus ... ich hofftara, betetara, berührtara wenigstens das Metall meiner Schlüssel.
    Die Straße war still, schwach beleuchtet, verlassen bis auf zwei am Rand parkende Autos. Ein Hund bellte ganz weit weg, ein Martinshorn jaulte in der Ferne vorüber. Als ich das offene Gittertor passiert hatte, machten meine Schritte auf dem Kies einen Lärm, der zehn betrunkene Leibwächter und mindestens ein halbes Dutzend geifernde Rottweiler aufgeweckt hätte. Aber kein Leibwächter rührte sich, ebenso wenig ein Hund.
    An der Vorderfront sah ich ein überdachtes Portal über einer kleinen Steintreppe und eine Haustür mit dicken Eisenbeschlägen. Geschlossen, die Laterne darüber dunkel. Ich bog um die Ecke und sah das Licht im Souterrain. Ein tiefer Atemzug, und dann die wenigen, unzähligen Stufen hinunter. Musik und Gesang waren zu hören.
    Ich klopfte, die Tür ging sofort auf, und ich sah mich einem Todesengel gegenüber, einer knochigen Frau mit kohlschwarzen, streng nach hinten gezurrten Haaren, großen schwarzen Augen, radikal abrasierten Brauen und diesmal ohne Schmuck: Es war die Firstdomina. Abhauenara, so schnell wie möglich verduftenara ...
    Sie schenkte mir ein Lächeln (Grinsen) des wärmsten Willkommens. »Nur herein, nur herein, Sie sind gerade rechtzeitig zur Zitronentorte eingetroffen.«
    Keine Fragen. Warum? Hatte sie mich
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