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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis
Autoren: Bernd Ulbrich
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die Augen zusammen. »Je mehr Energie ich habe, desto weiter komme ich weg, verstehst du?« Er hielt ihm die Hand hin. »Ich heiße Henry.« Grom spürte einen wohltuend kräftigen Händedruck. »Du kannst in dem ehemaligen Labor vor meiner Hexenküche arbeiten.«
Grom bedankte sich korrekt.
Savatsky winkte ab. »Wie lange wirst du brauchen?«
»Etwa acht Wochen.«
»Beeil dich«, warnte Savatsky, »sonst garantier’ ich für nichts.«
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»Ich dachte, es geht um mich.« Savatsky hatte so schnell und leise gesprochen, daß Grom nicht sicher war, ob Ironie in seinen Worten lag oder nicht. Er wollte aufbrausen, doch dann sagte er sich, daß Diplomatie seiner Position dienlicher wäre. Er hob dozierend die Stimme.
»Daß es dich gibt, ist ein Zufall, in seiner Diskretheit uninteressant. Das Leben an sich ist amorph – unlogische Struktur – und daher der künstlerischen Gestaltung unwürdig. Doch das prinzipielle Sein, die Idee, ist logisch und baut sich aus logischen Raum- und Flächenelementen auf, aus berechenbaren Punkten und Linien.«
Savatsky wiegte nachdenklich den Kopf. »Ich kann dir nicht ganz folgen, aber ich glaube, du hättest dir den Weg hierher sparen können.«
Grom wehrte mit einer begütigenden Geste ab. »Ich kann nicht auf dich verzichten. Du störst das Gefüge der Welt auf eine determinierte Weise. Das Universum hat dir gegenüber eine bestimmte Haltung. Durch deinen störenden Einfluß spiegelt es sich an dir. Du bist als Reflexionspunkt einer universellen Idee wichtig, du bist Mittel zu einem hohen Zweck. Einzig das ist die künstlerisch bedeutsame Notwendigkeit deiner leibhaftigen Existenz.« Grom hatte sich in Begeisterung geredet. Lange hatte er den Weg zur Systematik und logischen Folge seiner Gedanken gesucht. In seinem Bemühen, den kosmischen Kubismus als modernste Kunstauffassung zu formulieren, war er einen wichtigen Schritt weitergekommen. Er atmete erregt und blickte seinen Zuhörer dankbar an. »Es
gilt, die REINE S TÖRUNG DES U NIVERSELLEN S EINS zu finden.«
    Savatsky begann sich von seinem Schutzanzug zu befreien. »Vielleicht war ich wirklich zu lange von der Erde weg. Tut mir leid, ich versteh’ nicht, was du da machst.« Er hob bedauernd die Schultern. »Ich finde es nicht poetisch, ohne Emotion und Phantasie.«
Grom produzierte eine überlegene Geste. »Emotion, Phantasie sind planbare Elemente.«
    »O Gott«, widersprach Savatsky mit komischem Entsetzen, »das wäre das Ende der menschlichen Zivilisation.« Er lächelte, als wollte er für seine Worte um Verzeihung bitten. »Ich brauche etwas, was ich mit meiner Phantasie nachempfinden kann.«
    »Diese Naivität haben wir längst überwunden.« Grom musterte den Alten mitleidig. »Im Lebenden, im Menschen liegt keinerlei philosophische Notwendigkeit. Warum willst du das nicht begreifen? Es ist doch einleuchtend und in keiner Weise unnatürlich.«
    Savatsky hatte sich seines Anzugs entledigt. Sorgfältig hängte er ihn an einen Haken. Ohne weiter auf Grom zu achten, wandte er sich dem Ausgang zu. An der Tür hielt er inne. Seine Stimme klang kompromißlos, scharf. »Wenn ich jemals Zweifel an der Richtigkeit dessen hegte, was ich vorhabe – du hast sie mir genommen. Ich habe nichts gegen dich. Du tust mir nur leid. Es ist schade um dich, um viele andere. Ich werde nicht länger bleiben als unbedingt nötig. Beeil dich, wenn du fertig werden willst.«
    In den folgenden Wochen fertigte Grom mehrere Entwürfe in Gips und Ton an. Er nutzte immer die Viertelstunde, wenn Savatsky, von seinen geheimnisvollen Ausflügen zurückkehrend, mit geschlossenen Augen in der Kabine saß. Er fragte nicht mehr, wohin Savatsky verschwand. Hin und wieder betrachtete der Alte die Arbeiten, gab jedoch keinen Kommentar mehr.
Manchmal führten sie abends belanglose Gespräche, doch meist arbeiteten sie beide bis in die Nacht hinein.
    Eines Tages brachte Savatsky von einem Trip, wie er sein Verschwinden zu glossieren pflegte, eine kleine Figur aus gebranntem blauem Ton mit. Sie war ohne Zierat und Dekor, der Körper stellte eine schlanke, stilisierte Säule dar. Das Figürchen hatte die Haltung eines Sitzenden, die Hände schienen auf Armlehnen zu liegen. Es war Savatskys Haltung, wenn er in der Kabine saß. Der Schädel der Figur lief in einen spitzen Kegel aus, in dessen oberem Viertel sich ein drittes Auge befand.
    Grom lächelte, bis ihm bewußt wurde, daß er offen sein Entzücken über das winzige Ding zum Ausdruck brachte. Es
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