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Der unsichtbare Kreis

Der unsichtbare Kreis

Titel: Der unsichtbare Kreis
Autoren: Bernd Ulbrich
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Absatz zwo, römisch vier, können Ihnen Ihre Fahrlässigkeiten und Bedrohungen eine umfassende Tiefenbehandlung durch das Institut eintragen. Das sollten Sie doch wissen. Ich persönlich hielte es sogar, um Ihnen zu helfen, für notwendig, Ihre gesamte Persönlichkeitsstruktur umzumodellieren. Glauben Sie mir«, er unterstrich seine Worte mit einer professionellen Geste, »Sie wären ab sofort ein glücklicher Mensch.«
Der Alte brach in quietschendes Gelächter aus. »Sie haben sich geängstigt, mein Guter, nicht wahr? Geben Sie zu, Ihnen ist das Herz in die Hosen gerutscht. Keine Frage, das übersteigt Ihr Vorstellungsvermögen.« Er sagte das mit einem merkwürdigen Stolz.
»Doktor«, sagte Sophia, »wie können Sie nur über Ihr eigenes Unglück spaßen.«
»Sie haben recht«, sagte McLaugham, »ich bin ein einfältiger, alter Narr.«
»Aber warum das alles«, rief Randaik, »was bezweckten Sie damit? Warum brachten Sie uns in Gefahr?«
»Niemand war in Gefahr«, widersprach McLaugham. »Es war stets nur Spaß. Wenn man so lange allein ist, braucht man ein wenig Unterhaltung. Doch es hatte in Wahrheit noch einen anderen, wichtigeren Zweck. Ich habe immer wieder versucht, Aufmerksamkeit zu erregen. Ich klopfte an die Wand meines Käfigs, doch alle hielten es für Sinnestäuschung, Überreiztheit, magnetische Felder. Niemand hatte genug Phantasie. Vierhundert Jahre habe ich gehofft, doch niemand glaubte, niemand half.«
»Sie hätten es freundlicher versuchen sollen, nicht indem Sie Angst, sondern indem Sie Mitleid erregten.«
Der Greis blickte Randaik freundlich an. »Kennen Sie das Märchen vom Geist in der Flasche? Nach den ersten zehntausend Jahren sprach der Dschinn: ›Ich will den, der mich befreit, zum reichen Mann machen.‹ Nach den zweiten zehntausend Jahren sprach der Dschinn grimmig: ›Ich will dem, der mich befreit, den Hals umdrehen.‹«
Nach einer Weile des Schweigens sagte Randaik teilnahmsvoll: »Wie aber ist die erstaunliche Tatsache zu erklären, daß Sie vierhundert Jahre alt wurden?«
»Natürlich bin ich nur formell, meinem Geburtsdatum nach, vierhundertfünfzig Jahre alt«, entgegnete McLaugham ruhig. »Organisch gesehen, habe ich etwa einhundertvierzig Jahre gelebt. Die Zeitmaschine vollendete ich in meinem neununddreißigsten Lebensjahr.
Als erstem und einzigem demonstrierte ich Sir Edward die Funktionstüchtigkeit meines Apparats. Nach meinem ersten Ausflug in die Vergangenheit überreichte ich ihm als Dank eine goldene aztekische Maske, die mir König Montezuma zum Geschenk gemacht hatte. Damit waren Sir Edwards Unkosten um das Mehrfache zurückerstattet, und ich fühlte mich schuldenfrei.
Sir Edward beglückwünschte mich. Wir hofften, daß sich die wirtschaftliche und politische Lage der westlichen Welt alsbald stabilisieren würde und daß ich dann mit meiner Erfindung an die Öffentlichkeit treten könnte. Um sicherzugehen, unternahmen wir gemeinsam noch einige Reisen in die verschiedenen Zeitalter und Weltteile, da die Maschine auch lokale Verschiebungen erlaubt. Während dieser Exkursionen verschafften Sir Edward und auch ich uns einige wertvolle Kunstgegenstände, die meist zum Zeitpunkt ihrer Entstehung keinerlei oder nur geringen Wert verkörperten. Über die Moral dieser Geschäfte machte ich mir keine Gedanken. Ich wollte finanziell unabhängig werden, um eines Tages meine Erfindung zum Wohle der Menschheit zu verwenden. Noch immer war ich so naiv zu glauben, ich könnte über meine Erfindung entscheiden, ich könnte ein Urheberrecht geltend machen.«
MgLaugham nahm einen Schluck Whisky und fuhr mit belebter Stimme und Gebärde fort: »Dann jedoch unterlief mir, der ich die Entwicklung in der Welt aus den Augen verloren hatte, ein entscheidender Fehler. Waren wir bisher immer in die Vergangenheit gereist, so wollte ich nun der Zukunft einen Besuch abstatten. Ich stellte die Maschine auf dreihundert Jahre plus ein und kehrte von diesem ersten Ausflug wohlbehalten zurück. Als Beweis, daß ich das Ziel erreicht hatte, brachte ich ein Geschichtsbuch mit. Stellen Sie sich meine grenzenlose Einfalt vor. Ich bringe ein Dokument in die Gegenwart, das ausführlich den zukünftigen weltweiten Zusammenbruch des alten Systems behandelt mit all seinen Konsequenzen: die blutigen Auseinandersetzungen, Putsche, Konterrevolutionen, Machtkämpfe großer, kleiner, linker und rechter Gruppierungen, die ganze furchtbare Zeit bis zur Stabilisierung im Jahre zweitausendneunundsechzig.
Vor allem
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