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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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ich eben hierher und helfe unserem Star.«
    »Warum?«
    »Warum was?«
    »Die viele freie Zeit.«
    »Ich arbeite vierundzwanzig Stunden am Stück und hab dann drei Tage frei.«
    »Was machst du im Krankenhaus?«
    »Ich seziere Leichen.«
    »Au Mann.«
    »Hahaha, macht dir das etwa Angst?«
    »Hm, ja.«
    »Alle Söhne von Changó sind wie Kinder. Sie machen einen auf Macho und Weiberheld, aber sie haben Angst vor Toten, vor Friedhöfen, vor dem Wald, vor der Nacht. Alles macht ihnen Angst.«
    Ich bat ihn sofort, mir etwas von seiner Arbeit zu erzählen. Mein liebster Zeitvertreib ist es, fremdes Blut zu saugen. Der Typ arbeitete schon sechs Jahre in der Leichenkammer des Krankenhauses. Ich sah vor mir einen sprudelnden Quell von Leben und Tod, die sich auf wahnsinnige, schrille Weise mischten. Ich sagte ihm das, und er fuhr völlig drauf ab. Er wollte mir alles sofort und auf einmal erzählen.
    »Oh, mein Lieber, aber klar doch! Willst du ein Buch mit mir machen? Ich als Star? Ich im Rampenlicht, auf der Bühne, im Glitzerkleid? Hahahaha … Mein Foto auf dem Buchumschlag?«
    »Nein doch, nein. Beruhig dich. Vielleicht wird’s nur eine Kurzgeschichte. Eine ganz kurze.«
    »Macht nichts. Dann wird’s ein Monolog von mir. Ohne weitere Personen. Ich und eine junge, hübsche Frau, die ich nach und nach zerlege, hahaha. Kann ich dir alles erzählen. Du musst mich aber auch nennen, mit Vor- und Nachnamen. Der Wahnsinn! Keine Pseudonyme. Ich für alle Ewigkeit unsterblich, und im Coppelia werden sie mir nachrufen: Luder, Luder!«
    Da saß ich also in der Küche und arbeitete. Ein paar Tage zuvor hatte ich einen Wahnsinns-Roman abgeschlossen. Ein tropisches Supermonster, das mich erschöpft, nervös, total schlaflos, mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen zurückgelassen hatte. »Fertig mit den Nerven«, wie meine Frau sagte. Es heißt, schreiben hilft, die Dinge zu verstehen. Bei mir funktioniert das genau andersrum: Ich bin von Tag zu Tag ratloser.
    Ich hatte mir vorgenommen, erst mal ein Jahr nur zu malen, um mich ein bisschen zu erholen. Und da taucht, während ich noch im Roman-Schock stecke, ein Typ wie der Leichenschneider vor mir auf. So müsste auch der Titel heißen. Ah, verdammt, was für ein gespenstischer Beruf. Den Typen konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ich sah mich selbst schon mit schwarzem Umhang und langen Eckzähnen, wie ich ihm in die Halsschlagader beiße. Da kam meine Frau mit dem vollen Teller in der Hand, knallte ihn vor mir auf den Tisch und sagte:
    »Das kannst du selbst essen, ich will das nicht.«
    Dann drehte sie sich um und verschwand wieder im Wohnzimmer. Der Leichenschneider wusch still weiter seine Teller und machte Cuba Libres und Mojitos, als habe er nichts gehört. Ich zog den Teller zu mir ran. Ich bezwang den Drang, ihn auf den Boden zu knallen, sie am Hals zu packen, sie die Treppe hinunterzuzerren und auf die Straße zu schleifen, wo wir uns ein paar Wahrheiten ins Gesicht schreien konnten. Ich atmete tief durch und sagte mir: ›Nein, mein Bester, beruhig dich, sei nicht so blöd. Mach keine Szene. Wenigstens nicht vor den Leuten hier.‹ Also nahm ich den Teller und aß alles auf. Weißen Reis, schwarze Bohnen und Languste in Chili-Soße. Köstlich. Der Leichenschneider sah mich aus dem Augenwinkel an und fragte:
    »Möchtest du ein Bier zum Essen?«
    »Ich bleib lieber bei Rum.«
    Als ich fertig gegessen hatte, machte ich mir ein ordentliches Glas Rum mit Eis. Dann zündete ich eine lange, duftende Zigarre an. Tabak und Rum helfen immer beim Philosophieren. Ich sagte dem Leichenschneider, wir träfen uns sicher in einem klareren Augenblick wieder, und ging ins Wohnzimmer hinüber. Alles quasselte wüst durcheinander. Es waren viele Leute vom Film da, die über die letzten Oscars redeten. Total begeistert. Ich redete auch ein bisschen, obwohl ich nichts von den Oscars verstehe. Egal. Schließlich gingen wir. Vielleicht wurde es schon Morgen. Auf der Straße angekommen, fragte ich mein Frauchen ganz vorsichtig:
    »Darf man wissen, was zum Teufel mit dir los war?«
    »Spiel jetzt bloß nicht den Unschuldigen!«
    »Was hab ich denn getan? Oder was hab ich nicht getan?«
    Langsam wurden wir lauter.
    »Du hast mir ‘nen Riesenteller mit Reis und Bohnen voll geladen, als sei ich ein Schwein. Hast mir den hingeknallt und bist verschwunden.«
    »Reis, Bohnen und Languste. Das war’s, was es da gab, Julia.«
    »Stimmt überhaupt nicht. Da gab’s ein paar phantastische Salate und
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