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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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…«
    »Und weshalb hast du dich nicht selbst bedient?«
    »Du hättest dich wie der Mann an meiner Seite benehmen müssen. Wie ein Caballero gegenüber seiner Frau …«
    »Ich hab keine Salate gesehen.«
    »Weil du blau warst.«
    »Du warst selbst blau. Und jetzt bist du’s noch mehr.«
    »Ja, klar bin ich blau. Und hab ‘nen Riesenhunger.«
    »Hast du nichts gegessen?«
    »Nein. Die Leute haben sich auf das Essen gestürzt, und im Nu war alles weg.«
    »Hahaha, das freut mich. Geschieht dir recht. Was musst du auch die große Dame spielen mit dem eleganten Gatten. Und dann hast du gesoffen wie ein Fuhrmann. Jetzt siehst du nicht mal, wo du hintrittst.«
    »Du bist besoffener als ich.«
    So stritten und schrien wir weiter. Jetzt scheint das witzig. Doch es war nicht witzig. Es war verdammt ernst. Und verdammt destruktiv. Und es sorgte dafür, dass wir noch ein Stückchen mehr Zärtlichkeit verloren. Wir schrien uns an und beleidigten uns. Sie lief plötzlich schneller und machte sich davon. Ich rief ihr hinterher. Sie hörte nicht auf mich und bog an der ersten Ecke ab. Ich ging geradeaus, Richtung Meer, Richtung Malecón. Ein paar Stunden später kam ich zu Hause an. Sie schlief schon. Ich fiel ins Bett wie ein Stein und merkte gar nicht, als sie aufstand und zur Arbeit ging. Sie hat einen Scheißjob: fünfundzwanzig Dollar im Monat dafür, dass sie von Montag bis Samstag Pizza verkauft. Um sieben Uhr morgens geht sie aus dem Haus. Um acht Uhr abends kommt sie wieder, mit dem Geruch nach Rauch, ranzigem Käse und Frittierfett im Haar. Meistens ist sie gereizt, hat mehr Falten im Gesicht als sonst und lamentiert über die Regierung, den Busverkehr, der ein Desaster ist, die Nachbarn, die auf die Treppe scheißen, und darüber, wie schlimm alles ist und dass es noch viel schlimmer werden wird, weil die Zukunft schwarz ist. Sie hat keine Sozialversicherung, keinen bezahlten Urlaub, keinen Anspruch auf Rente, keine Gewerkschaft noch sonst was. So geht das ständig weiter, und sie steckt mich an.
    Ich hörte also Händel. Ich wollte die Krise vergessen und die Probleme der armen Länder und die Politiker, die reden und reden und versprechen, dass es uns bald besser gehen wird. Und ich wollte den absurden Krach mit Julia vergessen. Anscheinend waren Händel und der Leichenschneider die Ausgeglichensten und Lockersten in diesem ganzen Durcheinander. Da dachte ich daran, dass meine Frau mir ein paar Tage zuvor gesagt hatte: »Du wirst immer schlimmer. Ich finde, du bist ein verdreckter, einsamer alter Säufer geworden, der seine ganze Bitterkeit rausschreibt. Auf mich brauchst du nicht zu zählen. Eines Tages nehm ich meine Klamotten und hau ab, ich kann diesen Quatsch nicht länger mitmachen.«
    Nach der Affäre mit Silvia vögelte ich wild durch die Gegend. Probierte alles aus. Das war irgendwie zwanghaft und unkontrollierbar. Ich kann nur einen winzigen Teil von dem aufschreiben, was tatsächlich geschah. Als Julia auftauchte, dachte ich, meine Seele könnte für den Rest meines Lebens Ruhe finden. Und so heirateten wir. Großer Fehler. An meiner Seite mutierte sie in vier Jahren von einer gelassenen, sanften Frau zu einem rasenden, ätzenden Weib. Die Ehe macht alles kaputt. Oder ich mache alles kaputt. Keine Ahnung.
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Ich drehte ein wenig die Lautstärke herunter. Der »Messias« trat in den Hintergrund, und ich nahm ab. Iris. Eine alte Freundin. Sie liebt die Effekthascherei und sagt aus heiterem Himmel: »Heute ist ein trauriger Tag. Deine Freundin ist sehr traurig.« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie fährt fort: »Und ich habe ein sehr trauriges Gedicht geschrieben. Hast du drei Minuten für mich?« Und liest vor: »Die traurige Frau schloss die Augen. Sie ist müde. Ihr dicker, schwerer Körper will ruhen.« Und so geht es weiter. Es ist ein eindringliches, langes, depressives Gedicht. Als sie geendet hat, sage ich ihr, das sei ganz gut und sie solle mal ein kleines Buch zusammenstellen. Manchmal schreibt sie gute Texte, aber sie wiederholt unablässig: »Ich bin eine Intellektuelle, ich bin eine Intellektuelle, aber mein Mann versteht mich nicht, er will mich klein machen.« In Wirklichkeit ist sie eine einfache Hausfrau und Ehefrau, die ein paar Bücher gelesen hat und manchmal ganz passabel schreibt. Das ist alles. Doch der Größenwahn macht sie kaputt. Sie ist Löwin. Napoleonisch. Sie fragt mich, was ich mache. Ich erfinde irgendetwas:
    »Ich male einen
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