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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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denn?«
    »Die haut einfach ab und verschwindet.«
    »Deine Frau?«
    »Du hast doch gesehen, wie früh wir vom Strand weggegangen sind.«
    »Ja.«
    »Wir sin hierher gekommen, und sie hat kein Mittagessen gemacht für die Jungs. Sie hat sich angezogen und zu mir gesagt: ›Ich komm gleich wieder. Ich besuch nur schnell eine Freundin. Lass die Jungs nicht allein, pass gut auf sie auf.‹ Und dann war sie auch schon weg.«
    »Sie kommt sicher gleich wieder.«
    »Ach was! Die kommt erst morgen oder übermorgen. Wenn wir nach Haus fahren.«
    »Im Ernst!«
    »Is nich leicht! Is nich leicht mit der Frau.«
    Ich roch immer noch den Gestank von toten Mäusen.
    »Ich komm nich gern her. In Bauta is sie ruhiger. Ich geh wirklich ganz früh arbeiten und komm spätabends zurück. Keine Ahnung, was sie da die ganze Zeit macht, aber ich hab den Eindruck, sie is ruhiger da.«
    Wir schwiegen eine Weile. Ich spürte, wie unruhig er war. Ich musste an ein paar Situationen von vor vielen Jahren denken, und seine Unruhe sprang auf mich über. Ich fühlte einen Anfall von Niedergeschlagenheit.
    »Elíades, ich muss los.«
    »Nee, Kumpel, nich doch. Hier in der Nähe gibt’s Fusel zu kaufen. Ich hab noch fünf Pesos. Trinkst du auch Fusel, oder hast du’s nur mit Rum?«
    »Ich trink alles.«
    »Wart ‘nen Moment, ich hol ‘ne Flasche.«
    »Nein, nein. Bleib da. Ich hab um fünf einen Termin beim Zahnarzt, und es ist schon drei.«
    »Ach, verdammt.«
    Ich rief Julia mit einem Pfiff. Sie schaute zu mir, und ich winkte ihr zu. Sie kam rüber. Elíades versuchte es weiter:
    »Leist mir ‘ne Weile Gesellschaft, Kumpel.«
    »Nein, Bruder, ich muss los. Wird mir sonst wirklich zu spät.«
    »Kommt ihr morgen?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    »Kommt doch morgen.«
    Er gab mir einen kräftigen Händedruck. Ein prima Kerl. Er hatte ordentlich Kraft. Seine Unruhe war vorbei. Jetzt hatte ich ein komisches Gefühl. Ein bisschen Traurigkeit. Die heftige Erinnerung hatte mir nicht gut getan. Er gab Julia lächelnd die Hand und wiederholte:
    »Kommt morgen. Kommt doch morgen wieder.«
    Wir gingen zur Straße hinüber. Julia sagte:
    »Was für ein rabiater Kerl! Weiß nicht mal, wie man einer Frau auf Wiedersehen sagt.«
    »Warum?«
    »Mir tut die Hand weh. Er hat zugedrückt, als sei ich ein Mann.«
    Wir kamen zur Haltestelle des 400ers und fragten, wann der letzte fuhr. Nur drei Leute warteten da. Sicher würden wir für die Rückfahrt nach Havanna einen Sitzplatz finden.

 
     
     
     
Ruhe, Frieden, Gelassenheit
     
     
    Ich hörte den »Messias« von Händel. Es war sechs Uhr nachmittags, und ich musste mein Gemüt ein wenig beruhigen. Am Abend zuvor hatte ich einen Riesenkrach mit meiner Frau gehabt. Ein paar Freunde hatten uns zum Essen eingeladen. Wir gingen hin, tranken, quatschten. Das Übliche. Wir waren so um die zehn Leute. Wir tranken ordentlich. Schließlich wurde das Essen auf den Tisch gestellt. Und ich machte Julia sehr aufmerksam einen Teller fertig, gab ihn ihr und ging in die Küche, um weiter zu trinken und zu reden. Ein Mulatte mit einem ganz merkwürdigen Gesicht – er sah aus wie ein grinsender Hai – half dort aus. Er wusch Teller und Gläser, schenkte ein. Er kam überhaupt nicht aus der Küche heraus, war aber sehr fleißig. Er trank nicht. Arbeitete nur. Die Hausherrin war in ihren Jugendjahren ein berühmter Tingeltangel-Star gewesen. Ich glaube, dieses Wort benutzt man heute nicht mehr. Oder die ganze Sache ist aus der Mode gekommen. Ich weiß nicht. Sie war ein Tingeltangel-Star. Diese verführerischen Frauen voll Glamour haben immer einen Hofstaat entzückender kleiner Schwuler um sich, die sie bewundern-verehren-beneiden-anhimmeln. Und außerdem saugen sie die betörenden Ausdünstungen der Diva in sich auf. Der Mulatte war einer dieser kleinen Schwulen. Er half ihr voller Liebe und Hingabe. So verhinderte er, dass sie sich die Hände schmutzig machen musste. Im Gespräch mit dem Typen stelle ich fest, dass wir Nachbarn sind. Wir wohnen zwei Blocks voneinander entfernt im Stadtzentrum von Havanna. Und ich weiß nicht mehr, warum wir anfingen, über Heiligenverehrung zu reden. »Du bist ein Sohn von Changó, aber deine Mutter ist Ochún«, sagte er. Und so ähnlich ging es weiter. Wir hatten Gemeinsamkeiten. Es herrschte eine gute Chemie zwischen dem schwulen Hai und mir. Er wusch Teller, und ich trank Rum. Dann erzählte er, dass er in einem Krankenhaus arbeitete.
    »Ich hab aber viel freie Zeit, und da komme
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