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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle
Autoren: Heinrich Steinfest
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ungegenständlichen Form an den Teufel glaubte, war der Ansicht, daß Gott in der Welt vor allem dadurch sichtbar wurde, daß Dinge, die funktionierten, nicht immer funktionierten. Somit war das Scheitern eine Erfindung Gottes, eine gute dazu, ohne welche die ganze Vielfalt wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre. (Es gibt diesen amüsanten und im Grunde sehr richtigen Satz Einsteins, Amerika sei ein Fehler. Aber wahrscheinlich muß man Einstein dahingehend korrigieren, indem man erklärt, die ganze Welt sei ein Fehler.) Ein Computer, der immer funktioniert hätte, wäre Reisiger verdächtig, eben diabolisch erschienen. Nicht anders als ein Mensch, der ausnahmslos das Richtige sagt und das Richtige tut. Weshalb sich Reisiger auch im klaren darüber war, daß der Teufel, wäre er denn als Mensch herniedergestiegen, keineswegs den Fehler begangen hätte, den zartblauen Schimmer auf einem bestimmten Kugelschreiber zu übersehen. Somit war es aber auch eine schöne und gute Erfahrung in Reisigers Leben, daß ihm noch nie ein Computer untergekommen war, der völlig ohne Macken gewesen wäre und nicht den einen oder anderen Einbruch erlitten hätte. Was ja für die meisten Dinge galt. Ganz so mächtig konnte der Teufel also nicht sein.
    Reisigers Kugelschreiber war ein Geschenk seiner Firma anläßlich seines fünfzigsten Geburtstags gewesen. Die Design-Abteilung, die üblicherweise die Gehäuse hochklassiger Unterhaltungselektronik entwarf, hatte dieses spezielle Schreibgerät entwickelt, welches ja nicht nur nett anzusehen war, fingergenau in der Hand lag und von den silbernen Elementen abgesehen aus einem Material bestand, das bei Hitze abkühlte und sich in der Kälte aufwärmte, sondern auch über eine Mine verfügte, die eine Farbspur entließ, welche die extreme Blässe der Ummantelung ins Kraftvolle verkehrte, indem nämlich das überaus dunkle Blau der Schrift immer noch eine Ahnung von Transparenz besaß, so wie ja auch das tiefste und schwärzeste Meer nicht aufhört, zur Gänze aus durchsichtigem Wasser zu bestehen. Dazu kam, daß selbst dieser Farbton je nach Temperatur leicht variierte, minimal nur, und doch sichtbar für den, der darum wußte und nicht ganz blind war. Selbstverständlich handelte es sich auch hierbei um eine Spezialanfertigung, die von Leuten stammte, die sich üblicherweise mit den Innereien von Hi-Fi-Geräten auseinandersetzten. Reisiger besaß eine ganze Serie solcher Minen, die er in einem speziellen Behältnis aufbewahrte, in etwa wie man Zigarren lagert. Ein wenig fürchtete er den Tag, da sie ihm ausgehen würden.
    Wenn man bedachte, welche Mühe sich die Belegschaft jener Firma gegeben hatte, in der Reisiger seit einem Vierteljahrhundert angestellt war und seit gut zehn Jahren die Werbeabteilung leidenschaftslos, aber erfolgreich leitete, so hätte man glauben müssen, er sei entweder mächtig oder beliebt. Doch er war ersteres nur sehr bedingt und zweiteres gar nicht. Zudem fehlte ihm jegliche Begeisterung für die Produkte, deren Vermarktung er betrieb, während der Großteil der Mitarbeiter ein ausgesprochen inniges Verhältnis zur eigenen Ware pflegte.
    So gesehen war ein solches Geschenk, wie es Reisiger erhalten hatte – passend, perfekt, aufwendig und einmalig –, nur schwer zu erklären, da auch die Unternehmensleitung nichts dergleichen in Auftrag gegeben hatte. Im Grunde konnte niemand wirklich sagen, wie jener launische Einfall, einen Kugelschreiber speziell für Reisiger zu entwerfen, überhaupt entstanden war. Die Idee war einfach dagewesen, das Engagement beträchtlich, das Ergebnis erstaunlich. Gerade so, als müßte man einen Virus dafür verantwortlich machen. Und als die Belegschaft praktisch geheilt gewesen war, war ihr nichts anderes übriggeblieben, als eine kleine, peinliche Geburtstagsfeier abzuhalten und Reisiger sein Präsent zu überreichen. Sodann wurde nie wieder ein Wort darüber verloren. Darum auch Reisigers Befürchtung, die Minen von damals könnten die letzten gewesen sein.
    Ohne diesen Kugelschreiber wäre Reisiger nicht aus dem Haus gegangen, so wie er auch schon zuvor niemals ohne Schreibgerät auf die Straße getreten war. Alles eine Frage der Sicherheit. Und zwar im engsten Sinne. Denn aus unerfindlichen Gründen war Reisiger der Überzeugung, daß irgendwann einmal eine Situation eintreten werde, in der sich der Besitz eines Schreibinstruments als absolut notwendig erweisen und das Fehlen eines solchen Geräts zur persönlichen, wenn
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