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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman
Autoren: Christina McKenna
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und sich auf seinen Herrn stürzte, dämmerte ihm langsam, was los war.
    »Um Himmels willen, was ist denn hier los, Jamie?«, versuchte es Paddy noch einmal.
    »Is ja gut, kleiner Shep.« Jamie hatte seine Stimme wiedergefunden und umarmte den Hund.
    »Ich musste da hochklettern ...«, begann Jamie, »weil ich versucht hab, den Balken zu reparieren, und dann ist das verdammte Teil auf mich runtergefallen.« Beim Sprechen sah er Shep an, er schämte sich zu sehr, um seinem Freund in die Augen zu sehen.
    Paddy bemühte sich, schlau aus der ganzen Szene zu werden. Die leere Whiskeyflasche und die aufgerissene Kekstüte auf dem Heuballen. Warum sollte Jamie im dunklen Schuppen picknicken, nur um so eine Querverstrebung zu reparieren?
    »Gott, Jamie, du hättest dich umbringen können!«
    Jamie antwortete nicht. Dann entdeckte Paddy den Brief unter der Schnur eines Heuballens und die Schlinge um Jamies Hals, die dieser gerade unter dem Kragen verschwinden lassen wollte.
    Paddy sah woanders hin, er wollte nicht, dass sich sein Freund schämen musste. Er begutachtete den Zustand des Dachs.
    »Die ollen Balken sind ja total wurmzerfressen. Das is nich ungefährlich, da hast du recht.«
    Jamie ließ Shep los und der sprang immer noch aufgeregt auf Paddy zu, der ihn am Halsband nahm.
    »Ich bring erst mal den Hund raus, und dann helf ich dir auf, Jamie.«
    Er führte Shep hinaus, um seinem Freund die Gelegenheit zu geben, seine Würde zu wahren und die Überreste seines Selbstmordversuchs wegzuräumen.
    Als er ein paar Minuten später wiederkam, freute er sich, dass Jamie wieder auf den Beinen und der Brief verschwunden war.
    »Gott, Jamie, du wirst es nich glauben, wer bei uns auf dich wartet.
    »Wer?«, brachte Jamie heraus, als er mit seinem Freund ins Freie trat.
    »Lydeea, Jamie, Lydeea Devine!«
    »Lydeea?«
    »Ja, genau ... und sie sagt, sie hat große Nachrichten für dich ... und sie sagt, sie will dich spielen hören, also nimm dein Akkordeon mit, denn wir ham was zu feiern!« Paddy war vor Aufregung ganz atemlos.
    Jamie starrte ihn an; er wusste nicht, was er davon halten sollte. Vor ein paar Minuten erst hätte er fast an die Himmelspforte geklopft, aber aus irgendeinem Grund hatte Gott ihm den Eintritt verwehrt. Jetzt brauchte er noch einen Moment, um sich wieder an die irdischen Gefilde zu gewöhnen.
    »Lydeea wartet auf mich? Mit Rose? Bei euch?«, hörte Jamie sich fragen. Das schien zu gut, um wahr zu sein.
    »Ja, stimmt genau. Geh lieber rein und zieh dir den Anzug an.«
    Jamie warf einen Blick durch das Loch im Schuppendach auf die Ringel tauben, die immer noch dort oben kreisten. Plötzlich stand er nicht mehr in seinem tristen Hof. Er war an dem Ort, nach dem er sich so lange gesehnt hatte – auf der »sonnigen Lichtung«. Und auf einmal fielen all die dunklen Gedanken, die ihn sein ganzes Leben verfolgt und gequält hatten, von ihm ab. Der Pfad zum Glück lag leuchtend hell vor ihm. Und endlich verstand er.
    »Der Himmel ... is gar nich da oben«, sagte er langsam und zeigte auf die Tauben.
    »Vielleicht nich ... ich weiß es nich«, sagte Paddy verwirrt. »Aber weißt du, Rose sagt immer ... sie sagt immer, immer wenn man die gebenedeite Jungfrau sieht, wie sie in den Himmel auffährt, dann sieht man sie immer auf einer Wolke stehen, wenn sie hochsteigt ... in den Gebetbüchern und so.«
    Jamie konnte den Blick nicht vom Himmel abwenden. Er schien gar nicht zuzuhören. Paddy schüttelte ihn am Arm.
    »Jamie, zieh dir jetzt lieber deinen Anzug an. Wir wollen nich, dass Lydeea – Lily mein ich – noch länger auf dich warten muss.«
    »Wer?«
    »Ja, sie hat gesagt, ihr Spitzname is Lily, so wurde sie genannt, als sie ganz klein war, jawohl.«
    Jamie starrte Paddy staunend an. Er wollte etwas sagen, aber es hatte ihm die Sprache verschlagen, denn er erinnerte sich daran, was er sich vor ein paar Stunden geschworen hatte:
    Heute Abend werde ich bei dir sein, Lily, so wahr ich hier stehe.
    Heute ergab nichts einen Sinn – und heute ergab alles einen Sinn.
    »Ich warte im Auto und wende schon mal«, sagte Paddy. »Und vergiss das Akkordeon nich.«
    Jamie eilte hinein und Shep folgte ihm auf den Füßen. Im Schlafzimmer streifte er das Hemd über, von dem Rose behauptete, es sei eigentlich nicht sonnengelb, sondern eher senfgelb. Und der Anzug war ihrer Meinung nach nicht torfbraun, sondern eher saucenbraun.
    Shep lag auf dem Bett und verfolgte jede Handbewegung seines Herrn, wie er die Krawatte festzurrte
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