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Der Tschernobyl Virus

Der Tschernobyl Virus

Titel: Der Tschernobyl Virus
Autoren: Thorsten Huehne
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nicht<, sagte Akimov leise vor sich hin. Aufgrund dieser Anforderung wurde der Test auf die Nacht, ausgerechnet in seine Schicht, verlegt. Selbst bei seinem Mittagsschlaf vor dieser Nachtschicht fand er keine Ruhe. Er war einer der Operatoren hier in Tschernobyl, er war einer der Männer, die diesen Koloss von Kernkraftwerk bedienten. Er war der Schichtleiter für diese Nachtschicht. Seine Frau und seine zwei Töchter schliefen bestimmt schon. Wie gerne würde er jetzt auch zuhause im Bett liegen. Und stattdessen? Stattdessen musste er nun diesen Test durchführen. Es sollte bei dem Test festgestellt werden, ob die Notstromversorgung bei einem Notfall funktionierte und noch genügend Strom lieferte, um die Pumpen, die das Kühlwasser durch die aktive Zone des Kernreaktors führen, auch dann weiterhin in Betrieb halten zu können. Die Tests an sich waren nichts Neues. Eigentlich waren diese Tests vor der Inbetriebnahme eines Kernreaktors vorgeschrieben, doch bei der Inbetriebnahme für diese Kernkraftwerk wurde mit Sondererlaubnis darauf verzichtet. Auch der Zeitpunkt des Tests machte Akimov Sorgen. Normalerweise liefen die Tests ja mit nagelneuen Brennstäben, die natürlich größere Belastungen aushielten, doch die Brennstäbe hier waren inzwischen ziemlich verbraucht und Akimov hatte ein mulmiges Gefühl, ob sie den Belastungen des Tests standhalten könnten. Auch, dass sein Vorgesetzter Djatlov anwesend war, gab ihm ein ungutes Gefühl. Was suchte der stellvertretende Leiter des Kraftwerks hier bei einem Routinetest? Er musste kurz über Djatlovs Position nachdenken und den Kopf schütteln. Djatlov kam durch Beziehungen an diesen Posten, hatte keine Erfahrungen mit großen Kernkraftwerken gehabt. Jetzt war er hier und konnte jederzeit in den Test eingreifen.
     
    25. April 1986 – 23.22 Uhr
    Toptunov erschrak, die Leistung des Reaktors lag nur noch bei dreihundert Megawatt. Schnell informierte er Akimov. Der rannte zur Anzeige, »Wir müssen die Leistung wieder anheben«, brüllte der Schichtleiter. Djatlov sah zu den Beiden hinüber, dann schüttelte er den Kopf, »Nein, nicht erhöhen, das schafft unser Baby. Fahren sie die Leistung weiter runter. Bis auf zweihundert.«
    Akimov dachte, er höre nicht richtig, »Genosse Djatlov, zweihundert ist zu wenig. Die Vorschriften sagen, dass der Test nicht mit unter siebenhundert Megawatt ausgeführt werden darf.«
    »Ich habe hier das Sagen und führe den Test durch. Und wenn ich sage, er wird bei zweihundert gemacht, dann wird er bei zweihundert gemacht.«
    »Genosse Djatlov, dann bitte ich, ins Protokoll aufzunehmen, dass die Ausführung unter diesen Bedingungen nur unter meinem Protest stattfindet.«
    »Wird aufgenommen« Djatlov war inzwischen herüber gekommen und baute sich nur wenige Zentimeter vor Akimov auf. Dann drehte er sich zu Toptunov, »Fahr den Reaktor jetzt bis auf zweihundert runter.«
    Toptunov sah kurz Akimov an, der nickte. Darauf drehte er den Regler für die Reaktorleistung weiter nach unten.
    Bange Minuten war es totenstill im Block 4 von Tschernobyl. Akimov betrachtete die Anzeigen besorgt. Die Leistung sank auf 300...275...250...sie wurde immer schwächer, schließlich war die Reaktorleistung bei 200 angekommen und sie sank weiter. Toptunov hatte den Regler zwar wieder in die normale Position gedreht, aber es geschah nichts. Die Leistung sank weiter auf 190...185...180...
    Djatlov schrie »Toptunov, erhöh’ die Leistung, wir müssen auf 200 kommen.« Toptunov schwitzte, geriet in Panik. Die Leistung fiel weiter, jetzt auf unter einhundert. Akimov ging zu Toptunov, er sah, wie Toptunov zitterte. Djatlov schrie weiter, »Du Idiot, mach endlich etwas.« Toptunovs Panik war offensichtlich, wahllos betätigte er Schalter und schwitzte immer mehr, je weiter die Leistung sank. Schließlich wurde es still im Reaktor und die Leistungsanzeige fiel auf Null.
    »Gratuliere, Idiot, du hast das Kraftwerk gerade ausgeschaltet«, fauchte er ihn an, »Fahr den Reaktor wieder hoch«, brüllte er einen anderen Operator an. Dieser ging zu Toptunovs Platz und fuhr den Reaktor wieder langsam hoch.
     
    26. April 1986 – 00.15 Uhr
    Der Reaktor erreichte so langsam wieder die Marke von 200 Megawatt. Djatlov, der inzwischen das Kommando übernommen hatte, zeigte Toptunov an, seinen Platz wieder einzunehmen, »Aber versau’ es nicht nochmal«, lächelte Djatlov ihn an. Akimov atmete tief durch, er hoffte, dass das nun genug Bockmist für diesen Abend war.
     
    26.
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