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Der Tschernobyl Virus

Der Tschernobyl Virus

Titel: Der Tschernobyl Virus
Autoren: Thorsten Huehne
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doch nichts tat sich. Toptunow drückte die Knöpfe zur Anzeige des Kühlmitteldurchsatzes. Auf den Anzeigen zeigte das Schaltbild, dass der Reaktor jetzt ohne Wasser war. Aus der Richtung des Zentralsaals, wo der Reaktor stand, kamen dumpfe Schläge. Die ersten Druckkanäle platzten.
    »Ich verstehe überhaupt nichts mehr«, brüllte Akimov verzweifelt, »Was ist das für ein Mist? Wir haben doch alles richtig gemacht.«
    An der linken Seite des Steuerpultes stand Djatlov und strich sich ratlos über die schütteren Haare. >Das kann nicht sein< stand in seinem Gesicht geschrieben. Alle Hauptumwälzpumpen waren in Betrieb, aber die Zeiger der Lastanzeige lagen auf Null. Djatlov fing sich und befahl, »Der Reaktor muss gekühlt werden!«
    Innerhalb weniger Sekunden sprang die Wärmeleistung des Reaktors um ein Vielfaches. Die aktive Zone des Reaktors begann zu glühen.
    »Genosse Djatlov, die Hüllrohre der Brennstäbe bestehen aus Zirkon.«
    »Ja und«, Djatlov verstand nicht, worauf Toptunov herauswollte.
    »Dieses Material bewirkt, dass dem herausströmenden Wasser-Dampf-Gemisch Sauerstoff entzogen wird. Der entstehende Wasserstoff bildet mit Sauerstoff hochexplosives Knallgas. Wir fliegen in die Luft.«
     
    26. April 1986 – 01.23 Uhr und 58 Sekunden
    Um 1.23:58 Uhr zerriss eine mächtige Explosion den Reaktor und alles, was ihn umgab. Ein großer Teil des radioaktiven Reaktorinhalts wurde nach draußen geschleudert. Glühende Teile entzündeten die Teerdachpappe der Dächer des Maschinenhauses und des benachbarten 3. Blocks.
     
    Bei der Explosion wurden zwei Männer durch herabstürzende Trümmer erschlagen. In den Wochen nach der Katastrophe starben noch viele weitere Menschen, unter ihnen Akimov, Toptunov und Djatlov. Sie starben wegen der gewaltigen Strahlung, der sie ausgesetzt waren. Es starben Feuerwehrleute, Mitglieder des Betriebspersonals des Kraftwerks und auch unbeteiligte Menschen, die in der Nähe des Kraftwerks wohnten. In den folgenden Monaten kamen sogenannte „Liquidatoren“ nach Tschernobyl. Dies waren Soldaten, Studenten und „Freiwillige“, die das Kraftwerk „dekontaminierten“ und schließlich den Sarkophag bauten, der heute den explodierten 4. Block umschließt. Inzwischen ist auch dieser Sarkophag brüchig und muss erneuert werden. Die Zahlenangaben zu den eingesetzten Personen schwanken zwischen 600.000 und 1,2 Millionen Menschen.
    Die Zahl der Opfer ist nur sehr schwer zu beziffern, da nur wenige Liquidatoren der akuten Strahlenkrankheit erlagen. Vielmehr sind die meisten Todesfälle auf die Spätfolgen der Verstrahlung zurückzuführen, zum Beispiel auf Krebserkrankungen (wie Leukämie und Schilddrüsenkrebs), Immunschwäche-Krankheiten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen (Selbstmord). Je nachdem, von wem die Zahlen stammen, schwanken die Angaben zwischen 10.000 und über einer Million! Es gibt auch Schätzungen, die weit darüber hinaus gehen. Genau wird man es nie herausfinden. Zumal in ganz Europa, vor allem in den am meisten betroffenen Gebieten in Weißrussland und der Ukraine, noch heute „Unbeteiligte“ an den Folgeschäden von Tschernobyl sterben. Vor allem die Krebs- und Kindersterblichkeitsraten steigen, in den stark verstrahlten Gebieten sogar explosionsartig. Der medizinische Zustand der Kinder, die auf verstrahlten Böden aufwachsen, ist erschreckend. Und diese Folgen werden sich nicht auf die heutigen Generationen beschränken. Wie gefährlich die Atomkraft ist, kann man auch an einer Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz aus dem Jahr 2007 entnehmen. Diese besagt, dass Kinder, die in Städten in der Nähe von Atomkraftwerken leben, ein um 60 Prozent höheres Krebsrisiko haben, als andere Kinder. Und dies bei unseren ach so sicheren Kernkraftwerken.
     
    Die folgende Geschichte spielt zum Teil in der Stadt Prypjat; diese Stadt liegt nördlich von Kiew mitten in der dreißig Kilometer Sperrzone um das Kernkraftwerk. Es lebten etwa 50.000 Einwohner in der Stadt, als der Reaktor in die Luft flog. Aufgrund schleppender Informationen wurden die Einwohner erst 36 Stunden nach der Katastrophe evakuiert. Die Bewohner wurden in dem Glauben gelassen, dass sie bald zurückkehren dürften, daher nahmen sie nur das mit, was sie am Leibe trugen und ließen fast Alles zurück. Die Stadt liegt heute, von Pflanzen überwuchert, als Geisterstadt in einem tiefen Schlaf. Man könnte denken, dass jeden Moment die Einwohner zurückkommen und zu dem Rummelplatz, der noch
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