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Der Tribun

Der Tribun

Titel: Der Tribun
Autoren: Iris Kammerer
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hatte ihn zum Stabsgebäude begleitet und in diesen Raum geführt, den er aus früheren Tagen kannte, aus einem anderen Leben. Hraban, Sunja und Saldir waren gleich nach ihrem Eintreffen in Mogontiacum von ihm getrennt worden und hatten stumm über sich ergehen lassen, dass man sie in eine Unterkunft außerhalb des Lagers brachte. Sein Einspruch verhallte, wahrscheinlich hatte man auch seine schriftliche Anfrage ungelesen im Tabularium abgelegt.
    Er selbst war in das zum Lager gehörende Bad geschickt worden, hatte neue Kleider erhalten und eine enge, saubere Kammer mit einem richtigen Bett. Wangen und Kinn brannten zwar noch, waren aber glatt wie schon lange nicht mehr; auch das widerspenstige Haar war geschnitten und mit Salben gebändigt, die Nägel säuberlich gefeilt worden. Nur der Blick in den Spiegel verfolgte ihn noch immer, der Fremde, dessen Füße in geschnürten Sandalen steckten, der in Waffenrock und Mantel eines Legionärs gehüllt war, die scharfen Gesichtszüge beherrscht von schmalen Augen, die ihn hart musterten. Er hatte seine Miene sanfter und zugleich kühler in Erinnerung.
    Die Tür hinter dem Schreibtisch wurde geöffnet, und ein schlanker Gefreiter trat ein, in den Händen weitere Tafeln. Er warf einen Blick auf Cinna und verzog den schmallippigen Mund zu einem dünnen Lächeln, während er sich hinter den Tisch setzte.
    »Ich bedaure, dass ich dich warten ließ, Gaius Cinna. Einige Schriftstücke befanden sich bereits im Tabularium.« Er sah auf. »Ich bin Sosius Valens, Schreiber des Quintus Varius, des senatorischen Tribunen der Sechzehnten Legion, genannt die Gallische. Im letzten Jahr diente ich in der Ersten Legion, aber vermutlich wirst du dich nicht an mich erinnern.«
    Cinna erforschte sein Gedächtnis, aber mehr als eine vage Vertrautheit des Namens fand sich nicht. Die vergangenen Monate und insbesondere die Ereignisse der letzten Tage vor seinem Eintreffen im Versorgungslager des Herennius hatten sich wie ein Schleier über die Vergangenheit gelegt. Die Straßen und Bauten des Legionslagers von Mogontiacum erschienen ihm zwar bekannt, doch die früher hier stationierten Legionen waren nach Norden abkommandiert worden, und andere hatten ihren Platz eingenommen. Vielleicht bewohnte dieser Quintus Varius sein früheres Quartier, das er nur von weitem wiedergesehen hatte.
    »Es wird Schwierigkeiten geben, deinen Status als römischer Bürger vollständig wiederherzustellen«, begann Valens vorsichtig.
    »Ich habe Lucius Pacuvius einen Brief an meinen Vater übergeben.«
    »Das ist mir bekannt. Doch ich fürchte, es wird dir nicht helfen.« Valens drehte den Griffel in den Händen, während er Cinna lauernd musterte. »Dein Vater Gnaeus Cornelius Cinna Magnus, Sohn des Lucius, ist tot – und zwar schon eine ganze Weile.«
    Der Boden schien zu schwanken; Cinna hatte als Kind in Perusia ein leichtes Beben erlebt, und so schien auch jetzt die Erde sich zu verschieben, zu senken, als wäre sie Wasser, obwohl er wusste, dass es nur seine eigenen Knie waren, die versagten.
    »Er starb, ohne erbberechtigte Kinder zu hinterlassen – der ledige, kinderlose Sohn war in der Germania verschollen, die Tochter von ihrem Mann geschieden und nicht mit der nötigen Kinderzahl gesegnet. Das gesamte Vermögen fiel an Caesar Augustus. Es gibt sogar ein Testament, in dem Gnaeus Cornelius den Princeps begünstigt.«
    Cinna kämpfte mit dem Schleier, der sich vor seine Augen legen wollte, grub die Zähne in die Unterlippe und straffte sich mühsam. Eine Erinnerung schälte sich aus dem Nebel: Sosius Valens war einer jener Rekruten gewesen, denen er Denkzettel im Kampf mit dem Schwert verpasst hatte, der letzte in einer langen Reihe, einen Tag vor seinem Aufbruch in die Germania.
    »Vermutlich wärst du besser gleich bei deinen neuen Freunden geblieben«, schloss Valens ungerührt, wandte sich dann seinen Tafeln zu.
    »Woran starb er?«, krächzte Cinna, der noch immer um Fassung rang.
    »Das ist mir nicht bekannt«, entgegnete Valens dienstlich, ohne aufzublicken.
    »Der Brief … Ich möchte den Brief zurückerhalten«, murmelte Cinna.
    »Ich werde sehen, was sich machen lässt.« Wieder der marderartige Ausdruck in Valens’ Zügen, als er sich erhob und zu der Tür umdrehte, durch die er eingetreten war, sie öffnete. »Das war alles, Gaius Cinna – zumindest von meiner Seite.«
    Auf seinen Wink hin traten zwei Soldaten in roten Waffenröcken ein, fixierten Cinna mit ihren Blicken. Einer querte den
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