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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens
Autoren: Lena Klassen
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verlorene Schönheit. Da war nichts mehr. Die Liebe war noch da, aber sie fühlte sich seltsam an, dumpf, wie eine nie verheilte Wunde. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie Kunun an und machte sich nichts vor.
    Es war wie bei einem Drogensüchtigen, der die Spritze betrachtet und in einem seltenen Moment der Klarheit erkennt, dass ihn der Stoff nicht glücklich macht. Dass er viel weiter gegangen ist, als er jemals wollte, und dass es kein Zurück mehr gibt, sondern nur noch Schmerz und Tränen und Elend.
    Unter Wasser nahm sie seine Hände in ihre. » Komm«, sagte sie. » Lass mich an deiner Seite sein, dieses eine Mal. Ich liebe dich, das weißt du doch? Hanna hast du bloß getäuscht, aber ich bin aus freien Stücken bei dir.«
    Sein Blick war unergründlich. » Wenn wir hier fertig sind, wirst du dafür ins Feuer gehen.«
    » Dort bin ich schon«, sagte sie, denn ein leichtes Brennen an ihrem Oberschenkel kündigte bereits das Licht an. » Spürst du nicht, wie es beginnt?«
    Attila verschwand im Wasser. Kein Zweifel, wer ihn hinunter in die Tiefe zog. Mattim griff nach Kunun und versuchte dessen Hände von dem Jungen zu lösen. Er trat nach seinem Bruder, klammerte sich an ihn, um ihn zu behindern, doch es war genau so, wie er befürchtet hatte. Gegen einen Schatten war er im Wasser machtlos. Während er bereits wieder nach Luft gierte und nach oben schwimmen musste, zerrte Kunun den Jungen immer weiter hinunter.
    Mattim holte tief Luft und tauchte ihm nach. Er fand sie zu dritt in einer tödlichen Umschlingung. Réka war da und zerrte ebenfalls an Attila, und auf einmal ließ Kunun los und wandte sich Mattim zu. So hatten sie schon einmal gekämpft, im lichtdurchfluteten Donua, als sie gemeinsam durchs Eis eingebrochen waren. Doch damals, vor anderthalb Jahren, waren sie beide Schatten gewesen. Mattim fühlte, wie er in der Schwärze versank. Kunun hielt ihn fest, in einer Umarmung, die gleichermaßen gnadenlos wie zärtlich war. Mattim wehrte sich gegen den Drang, wieder einzuatmen.
    Attila, dachte er. Wird Réka ihn retten oder ihn umbringen? Er wusste es nicht. Bilder von Hanna trieben vor seinem inneren Auge vorbei. Luft perlte vor ihm nach oben, seine eigene Atemluft, wie Seifenblasen, wie an jenem Tag auf der Insel, als er Hanna geneckt hatte, als er so verliebt gewesen war, dass alles andere an Bedeutung verlor.
    Und so endet es nun, hier im Dunkeln, im Wasser …
    Er konnte Kunun deutlich sehen. Es war nicht dunkel, nicht ganz. Ein feines Leuchten schien vom Grund aufzusteigen, ein sanftes Glimmen. Dort, wo der Tod auf ihn wartete.
    Das Licht beleuchtete Kununs Gesicht. Seine Augen weiteten sich. Wie konnte er Mattims Tod spüren, das Licht am Ende der Nacht sehen? Sein Griff lockerte sich. Mattim wand sich heraus, aber er hatte nicht mehr genügend Kraft, um nach oben zu schwimmen. Kunun schwebte zwischen den Wasserpflanzen im Licht, das wie an einem Sommertag im Wald durch die Wipfel fiel. Dann sank eine zweite Gestalt nach unten, Réka, auf den Lippen ein Lächeln, während ihre Haut brannte, während ein Glühen sie überzog. Sie streckte die Hände nach Kunun aus wie zum Tanz, und dann wehten sie beide davon.
    Da packte jemand Mattim am Kragen und zog ihn in die Höhe, aus dem Tod hinaus.
    Er lag am Ufer und hustete.
    Hanna beugte sich über ihn, Tränen in den Augen. » Geht es dir gut?«
    » Wo… wo ist Attila?«
    » Hier.« Der Junge saß am Ufer, in eine Decke gewickelt. Bartók stand neben ihm, mit der grimmigen Miene eines Wächters.
    Mirontschek hüllte seinen ansehnlichen Körper, an dem grüne Algen klebten, wieder in den blauen Umhang. » Manchmal sind Menschen eben doch stärker als Schatten«, sagte er stolz.
    » Der Fluss ist nun wieder eine tödliche Falle für jeden Schatten«, sagte Hanna. » Fürst Mirontschek hat euch beide ans Ufer gebracht. Großer Gott, du warst furchtbar lange unter Wasser!«
    Er versuchte sich aufzusetzen, aber er brachte nicht einmal das fertig. Der Tod hatte ihn berührt und Spuren hinterlassen, eine davon war eine bleierne Müdigkeit, die Sehnsucht nach Schlaf. Er hustete wieder, und vor sich sah er Kunun im glühenden Unterwasserdschungel.
    Und Réka. Réka, die am ganzen Leib brannte und dabei lächelte, traurig und triumphierend.
    » Wie kann das sein? Ist das Licht nach Magyria zurückgekehrt?«
    » Ich weiß nicht«, sagte Hanna leise. » Irgendetwas geht hier vor sich, das ich nicht verstehe.«
    » Prinz?«
    Vor ihm standen die Schatten. Kununs
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