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Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens
Autoren: Lena Klassen
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Landschaft um ihn her war unglaublich schön: offen, grün, sonnig. Er hätte nie gedacht, dass er einen Ort so lieben könnte, der nicht Magyria war.
    Mattim lehnte sich zurück ins Gras. Die Septembersonne brannte auf seiner Haut. Das Pferd schnaubte leise, als sich Schritte näherten, aber Mattim war zu faul, um sich umzudrehen. Außerdem erkannte er diesen Gang; das war kein Feind. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht.
    » Kommissar Bartók«, sagte Mattim. » Gehen Sie mir aus der Sonne. Ich habe wahrlich genug von Schatten.«
    » Du bekommst noch einen Sonnenbrand.«
    » Eher nicht. Ich vertrage ganz schön viel Sonne.«
    Bartók ließ sich neben ihm ins Gras sinken. » Ich habe den Dienst quittiert. Also lass die schmeichelnde Anrede einfach weg.« Nach kurzem Zögern zog er Schuhe und Strümpfe aus und tauchte die Füße ins Wasser.
    » Oh«, meinte Mattim. » Ist Ihnen jetzt nicht langweilig?«
    » Ist Euch denn nicht langweilig, Eure Hoheit, so ganz ohne Feinde und Lebensgefahr?«, gab Bartók zurück.
    » Das Leben ist auch so gefährlich genug. Ich könnte jeden Tag vom Pferd fallen und mir das Genick brechen oder meinen Job verlieren, wenn ich zu lange untätig herumliege, statt zu arbeiten. Alles Mögliche könnte passieren.«
    » Zum Beispiel könnte jemand erkennen, dass du falsche Papiere besitzt.« Bartók reichte ihm ein kleines Päckchen. » Alles wie besprochen: Geburtsurkunde, Ausweis, Zeugnisse.«
    » Sie sind ein Zauberer! Haben Sie mir wenigstens gute Noten gegeben?«
    » Hanna lässt dich grüßen. Sie wollte mitkommen, aber zu Beginn des Semesters ist so viel los, dass sie erst mal nichts versäumen möchte. Tja, das Leben geht weiter.«
    » Wenn sie mich besucht, versucht sie immer, das Licht hier einzufangen. Sie gefällt sich als Jägerin des Lichts.«
    » Sie wird eine gute Fotografin«, meinte Bartók.
    » Oh, da bin ich mir sicher«, sagte Mattim. » Womöglich gar eine Fotokünstlerin. Wenn ihr die paar Bilder schon den Studienplatz verschafft haben… Sie ist begabt. Dort ist ihr Platz.«
    » Vorerst«, sagte Bartók bescheiden. » Alle Dinge verändern sich, wenn man ein Mensch ist. So, und nun die Neuigkeiten, nach denen du gefragt hast. Der Sommer ist vorbei, und niemand ist besonders überrascht, dass der schwarze Smog sich restlos aufgelöst hat. Immer noch gibt es viele Vermisste. Ich kann nicht sagen, ob die Leute die Gelegenheit genutzt haben, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen, oder ob das Licht sie aufgelöst hat. Soviel ich weiß, wurden sämtliche Schatten beinahe schlagartig zurückverwandelt. Eine ganze Menge Magyrianer sitzen bei uns fest, sowohl Soldaten aus Akink als auch Jaschbiner. Ich versuche so viele wie möglich zu ermitteln, denn sollte sich irgendwann ein Weg zurück auftun, könnten wir sie darüber informieren.«
    Mattim seufzte. » Es gibt keinen Weg zurück.«
    » Ich bin bloß in Magyria gewesen, als es noch dunkel war«, sagte Bartók. » Zu schade. Im Licht muss es wunderschön sein, wenn du dich so sehr danach zurücksehnst, obwohl du das hier hast.« Der glasige blaue Himmel über ihnen verlor sich in der Unendlichkeit. » Alles ist zurück an seinem Platz«, sagte er, » bis auf ein paar Kleinigkeiten. Die Welten haben sich wieder getrennt, doch als Magyria sich von uns gelöst hat, sind ein paar Dinge geblieben. Die meisten Bäume sind zum Glück verschwunden, aber der Kettenbrücke fehlt immer noch ein Löwe. Im Ministerium arbeiten sie fieberhaft daran, eine Erklärung dafür zu basteln, wie die Diebe eine so große und schwere Figur unbemerkt stehlen konnten. Der Auftrag für eine Replik wurde bereits erteilt.«
    Mattim lachte.
    » Tja«, sagte Bartók leise. » Wir müssen alle unsere Wunden lecken. Ferenc Szigethy wurde unlängst aus dem Krankenhaus entlassen. Es ging ihm nicht so gut, nachdem er an jenem Tag mit ein paar Schatten aneinandergeraten ist. Als Erstes ist er bei mir aufgekreuzt, um zu erfahren, was aus seiner Familie geworden ist. Er scheint zu vermuten, Mónika habe sich mit beiden Kindern aus dem Staub gemacht, und gibt mir die Schuld daran. Ich habe ihn in dem Glauben gelassen. Es schien mir… gnädiger. Allerdings hat er sich ziemlich weit oben über mich beschwert. Deshalb bin ich gegangen, bevor die Sache zu hohe Wellen schlagen konnte. Um meinen Job zu kämpfen, das war es mir nicht wert. Nicht nach all dem, was wir durchgemacht haben. Soll Ferenc sich ruhig über diesen kleinen Sieg freuen, er hat genug
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