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Der Trakt

Der Trakt

Titel: Der Trakt
Autoren: Arno Strobel
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aufhören, bitte? Ich weiß nicht, was genau mit mir passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich nach dem Abend mit Elke durch den Park gegangen bin. Und da bin ich überfallen worden. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich vor zwei Stunden in einem Keller im Krankenhaus aufgewacht bin. Bitte, Hannes, ich halte das nicht mehr länger aus. Lass mich wenigstens zu Lukas.«
    Nun erst schien er zu registrieren, dass sie ihm immer näher gekommen war. Er machte einen großen Schritt zurück, beugte den Oberkörper ein wenig nach vorne und stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab, als sei er erschöpft von einem Lauf. Langsam hob er dann den Kopf und sagte leise: »Wer sind Sie, und was zum Teufel treiben Sie hier für ein abartiges Spiel? Meine Frau … Sibylle wurde tatsächlich überfallen. Niemand weiß … – sie ist seitdem verschwunden.« Seine Stimme wurde noch leiser. »Das ist jetzt fast zwei Monate her.«

5
    Sibylles Beine gaben nach. Nicht mit einem Schlag, sondern so, als wären ihre Knochen aus Wachs, das zu warm geworden war. Ohne etwas dagegen tun zu können ging sie wie in Zeitlupe in die Hocke und saß dann auf den sandfarbenen Pflastersteinen des Weges.
    Zwei Monate. Muhlhaus hatte also tatsächlich die Wahrheit gesagt. Zumindest in diesem Punkt.
Aber wie kann das sein?
Und warum behauptete Hannes, sie nicht zu kennen?
    »Hannes, ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber … – vielleicht hatte ich einen Unfall und sehe jetzt tatsächlich anders aus. Warum auch immer du mich nicht erkennst – lass mich doch bitte irgendwie beweisen, dass ich es bin. Kannst du mir nicht irgendwelche Fragen stellen, bitte? Hannes? Frag mich was, das nur … nur deine Frau Sibylle wissen kann. Okay?«
    Als er keine Reaktion zeigte, sagte sie noch einmal: »Bitte.«
    Noch immer starrte er sie an, und die Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit, bis er den Kopf senkte und ein humorloses Lachen ausstieß. »Das ist doch ein schlechter Scherz.«
    Als er sie aber wieder ansah, war sein Gesicht wie versteinert. »Sagen Sie mir, wo Sibylle ihr Münzalbum aufbewahrt.«
    Sie lächelte erleichtert. »Münzalbum? Ich hatte nie eins, es gibt nur eins im Haus, das gehört dir und liegt in der Kommode im Schlafzimmer in der untersten Schublade.«
    »An welchem Fuß habe ich ein Muttermal?«
    »Links, an der Ferse. Es ist etwas größer geworden, und du hast dir schon im letzten Jahr vorgenommen, es wegmachen zu lassen. Aber du hast immer neue Ausreden gefunden, damit du nicht zum Hautarzt musstest.«
    Sein Gesichtsausdruck zeigte jetzt Überraschung.
    »Weiter, Hannes«, forderte sie ihn auf und dachte dabei unentwegt an Lukas. Sie
musste
ins Haus.
    »An dem Tag, an dem Sibylle verschwunden ist, habe ich ihr morgens einen Artikel aus der Zeitung vorgelesen. Ähm, worum ging –«
    »Das war kein Artikel, sondern mein Horoskop, das du mir vorgelesen hast. Du fandest es lustig, weil mir für diesen Tag die Begegnung mit meiner großen Liebe vorausgesagt wurde.«
    Sibylle sah die Verblüffung in seinem Gesicht und wartete einen Moment, bevor sie fragte: »Glaubst du mir jetzt? Hannes?«
    Er schien einen inneren Kampf auszutragen. Unentwegt sah er sie an, bis er schließlich mit monotoner Stimme sagte: »Kommen Sie rein.«
    »Danke.«
Oh, Lukas. Endlich. Lukas!
    Sie betrat das Haus, zog im Flur Rosies Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. Dabei fiel ihr auf, dass sie noch immer den Zettel mit Rosies Telefonnummer in der Hand hielt. Sie wusste nicht, warum es ihr widerstrebte, ihn aus der Hand zu geben. Kurz entschlossen schob sie den Zettel seitlich unter ihren Slip.
    Als sie sich umdrehte, stand Johannes vor ihr und starrte mit großen Augen auf das dünne Hemdchen.
    »Das erkläre ich dir später«, sagte sie und ging ins Wohnzimmer. »Hannes – wo ist Lukas?«
    Er zögerte. »Lukas?«
    Himmel, Hannes, was ist mit dir?
    »Ja, Lukas, unser Sohn.«
    »Ah ja, ähm … Lukas, der ist nicht hier«, erwiderte er zögernd, »er ist bei einem Freund.«
    »Geht es ihm gut? Bei wem ist er? Kannst du da bitte anrufen? Ich möchte ihn sprechen.«
    »Er ist … bei einem Jungen, den er erst vor ein paar Tagen kennengelernt hat. Sehr nett. Gutes Elternhaus, sehr gut.«
    Sibylle konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken. Sie war fassungslos darüber, wie seltsam Hannes redete, wie er sich benahm. Sie schien durch eine fremde Welt zu wandeln, in der nicht die kleinste Kleinigkeit so war, wie sie sein
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