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Der Träumer

Der Träumer

Titel: Der Träumer
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Berufung ab und ergreift einen Beruf, Mutter.«
    »Das verstehe ich wieder nicht, was du da sagst.«
    »Das Verzweifelte, Mutter, ist, daß man nicht nur Dichter, die keine sind, verhungern läßt.«
    »Wen noch?«
    »Wirkliche, echte, große Dichter.«
    »Das tun die Menschen?«
    »Das haben sie jedenfalls schon oft getan.«
    »Warum?«
    »Weil sie sie nicht erkennen.«
    »Dann sollen die Dichter es ihnen sagen.«
    »Gerade daran scheitern sie, die Dichter. Sie sagen oder schreiben es mit jedem Wort, wer sie sind, aber die Welt versteht ihre Sprache allzuoft nicht.«
    »Dann müssen sie sich so ausdrücken, daß sie verstanden werden – oder sie dürfen sich nicht beschweren.«
    Mutter, denke ich, dazu gäbe es viel zu sagen. Dieses Thema ist so alt wie die Kunst selbst. Der Alten Interesse daran scheint aber erloschen zu sein, denn sie fragt mich: »Wie alt bist du?«
    Ich sage es ihr.
    »Der gleiche Jahrgang wie mein Sohn«, nickt sie.
    »Was macht er, Mutter?«
    Sie zuckt ungewiß die Achseln.
    »Wo ist er?« frage ich.
    Dasselbe Zucken.
    »Das weiß ich nicht«, sagt sie. »Er ist schon lange fort, die Rosa auch.«
    »Welche Rosa?«
    »Meine Tochter. Beide haben sie mich verlassen. Ich hab' nur gerackert für sie, und wie's jetzt in meinem Alter mit mir steht, das siehst du am besten an meiner Kiepe hier.«
    Mit diesen Worten erhebt sie sich, um sich wieder mit ihrer Last zu beladen, doch das lasse ich nicht zu. Rasch schultere ich die Kiepe mit dem dürren Reisigholz und trage sie zu Tal in die armselige Häuslerkate. Stumm folgt mir die Alte, erstaunt mehr als erfreut, und schneuzt sich mehrmals in die hohle Hand. Ich aber fühle mich gelöst und frei und hell und freue mich darüber, daß wir Bekannten begegnen, die überrascht den Dichter mit der Kiepe auf dem Rücken sehen.
    Am offenen Feuer in der unwirtlichen Hütte habe ich mir die Hände gewärmt und eine Schale heißer Milch getrunken. Die Alte sitzt nun murmelnd neben mir und lullt mit monotoner Stimme mich in süße Trance … es ist, als schwebe ich inmitten langer Flammen und tanzte mit dem Feuer. Knarrend biegt das Reisig sich im Ofen. Ferne Berge grüßen, Hirtenweisen erklingen, und schlanke Schäfermädchen wiegen tanzend sich auf bunten Blumenfeldern … ich träume wieder, und aus dem lichten Blau des Himmels steigt die Ersehnte herab zu mir auf die Wiese, wo ich mit verzücktem Lächeln einer fernen Geige lausche.
    Die Flammen prasseln, knackend paart das Holz sich mit dem Feuer, und knisternd biegt das Reisig sich im Ofen. Oh, das ist Melodie … das ist die Flammenhymne, die mein Inneres versengt. Und da ist diese Geige, dieses Schweben in den Lüften … und diese goldenen Strahlen aus der Sonne gleiten zart mir über meine heißen Augen …
    Ich schlief … und hörte eine Geige klingen,
die ein Poet mit trunk'nen Fingern strich,
und fühlte mich im Traume mit ihr singen –
da ward es hell um mich und minniglich …
    Ich fahre auf – hat es nicht an der Tür geklopft? Auf meinen Knien liegt ein Blatt mit wenigen Zeilen, und durch das Dunkel schlurft die Alte an die Pforte. Ich sitze starr am Feuer, blicke in die Glut und weiß nicht, ob ich dieses Leben schon gesehen habe, so fern ist alles, so verhüllt, so im Nebel verborgen.
    Ein Mann tritt ein, ein Telegrafenbote. Er grüßt mich, kommt an den Ofen und grüßt noch einmal.
    »Ich war bei Ihnen, fand Ihr Häuschen leer. Ein Ehepaar, das Sie mit der Kiepe sah, wies mir den Weg hierher. Ein Telegramm für Sie.«
    Ich gebe ihm ein Trinkgeld, nicke nur und schweige. Der Bote geht, und leise fällt die Tür ins Schloß.
    Ein Telegramm? Wer hat's so eilig?
    Will man mich sehen, hören oder einen neuen Vertrag mit mir abschließen?
    Will man … oh, nichtig ist dies alles, trifft nur meinen Körper, meinen Geist … heute aber soll die Seele eine Heimat finden und soll das Herz vergessen, daß es bluten kann.
    Langsam öffne ich den Umschlag, entfalte das Papier … ihr Götter, haltet mich, o haltet mich … ich rase …
    »Ich komme übermorgen mittag, freuen Sie sich? Paulchen.«
    Ich springe auf, jauchze, schreie in die Glut des Ofens, reiße die erschrockene Alte an mich, tanze mit ihr durch die Stube.
    Sie kommt … sie kommt … wenn jetzt das Herz im Jubel bricht, es wäre ein seliger Tod …
    Soll ich nun weiterträumen, soll ich Dichter sein, im Maße leben … ihr steifen Puppen meines Ichs – ins Feuer mit euch … endlich werde ich ein Mensch!
    Ach Paulchen, wenn du kommst,
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